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Wie in der Geisterbahn...

... kam ich mir vor. Aber mal von vorne, die Geschichte ist leider nicht schnell erzählt.

Die Mutter, eine Französin, hatte mich in den Feiertagen angerufen und erstmal lang und breit und mit unendlich vielen langsamen Sätzen alles Gute für das neue Jahr und überhaupt gewünscht. Das mit den guten Wünschen macht sie immer so, da muss nicht unbedingt Jahreswechsel sein. Dann erst kommt sie zur Sache, nun aber kann es schon mal Aufforderungen, Anliegen, Wünsche und ich weiß nicht, was alles noch geben. Wir in Österreich nennen so etwas "schleimen". Ich will aber nicht ungerecht sein, vielleicht ist solches ja Usus in Frankreisch?
Nach dem langen Sermon an guten Wünschen ging es darum, dass ihr Sohn sich von der Schule abmelden wolle und wie da vorzugehen sei. "Er will zwar nicht mehr, aber wir zahlen ja, deswegen soll er aber schon noch die vier Mal kommen".
Tja, das wusste ich eh schon alles, war sogar schon abgesprochen. Außerdem hätte man es mir nicht mal sagen müssen, sowas merkt man im Unterricht doch sofort.

Der Unterricht war ja auch tatsächlich immer eintöniger geworden. Man weigerte sich nämlich, die nötigen Noten zu besorgen. "Ein Heft pro Jahr reicht!" sollen die Eltern gesagt haben. Ich entblödete mich nicht, dezent um weiteres Spielmaterial zu kämpfen. Nichts zu machen. Wobei ich mir nie ganz sicher war, ob das wirklich von den Eltern ausging, andererseits hatte der Vater sich ja schon aufgeregt, dass es Ferien gibt, er zahle ja schließlich. Da musste ich dann klarstellen, dass dies im Preis von 200 Euro im Semester aber schon berücksichtigt sei und der Staat eh das meiste zahle.

Kurz und gut, der 14-jährige tat nicht mehr viel, nicht einmal bei Popularmusik. Im Dezember fragte ich ihn pro forma, einfach, weil es sich gehört, ob er Weihnachtslieder spielen wolle. Er lehnte ab. Na eh klar, was soll ein gerade ganz arg Pubertierender mit Weihnachtsliedern anfangen? Üblicherweise eher nichts. Sowas hat man zu akzeptieren!

Nun die erste Stunde nach Weihnachten.

"Na? wie gehts? Hast du schöne Ferien gehabt?"
Unbestimmtes Achselzucken.
"Und hast du in der Zeit irgendwas gespielt?"
Mein Vater hat sich total aufgeregt, weil ich nicht mit ihm zusammen Weihnachtslieder spielen konnte. Er hat gesagt, wozu gehst du überhaupt in die Musikschule, wenn du nicht mal Weihnachtslieder lernst! Und dann hat er gesagt, wir sollen aus diesen Kopien hier jetzt bis Februar Weihnachtslieder 'machen'."
Er legte mir die Noten flappsig hin und etwas anderes hatte er erst gar nicht mit.

Oha! Ich dachte, mich knutscht ein Elch! Ich versuchte, ihm klar zu machen, dass man in unseren Breitengraden Weihnachtlieder nur bis 6. Januar spielt und dass man Liedbegleitung prinzipiell mit jeder Art von Liedern lernen kann.
Nichts zu machen, er blickte abweisend, der Vater hätte aber gesagt! Daraufhin blätterte ich mit ihm gemeinsam die Lieder durch, wies nach, dass man hier und dort gar nicht mit "Griffen" begleiten könne und dort wo es ginge, ständen eh Akkordzeichen. "Wiederholen wir halt die Akkorde,  schauen wir, welche zusammen passen, ich zeigs dir, gib mal dein Aufgabenheft her, damit ich´s einschreiben kann."
"Hab ich nicht mit!"
"Dann einen Zettel!"
"Hab ich keinen."
"Nichts mit?
"Nein."
"Wieso denn nicht?"
Achselzucken.
Hol dir halt einen aus meinem Kasten!"
Er suchte sich einen kleinen "Post It"-Zettel und ich fing halt an.

"Was ist 4 Töne höher als a?"
"Weiß ich nicht."
"Nach 4 Jahren wirst du doch Noten können? Ich sprach doch eh immer die Notennamen an?"
Wieder nur Achselzucken, "kann ich nicht, die Musiklehrerin ist soo schlecht...."
"Kannst du das ABC?"
"Nein."
Ich wartete.... "Ach ja, a... b, ... c d..."
"Na also, die Noten heißen doch gleich wie im ABC, was ist also der 4. Ton?
"Weiß ich nicht...!
Auffordernder aber möglichst freundlicher Blick... warten.... 
"Äh.... d"

Wir spielten dann D-Dur, da klopfte es, die Mutter trat ein.
"Grüß Gott! Nochmal aaalles Gute zum neuen Jahr! Darf ich dabei sein?"
Ich bot ihr einen Platz an und lehrte weiter.
"Nein, halte die Saiten nicht fest, weißt eh, du stoppst doch den Klang!" Ich machte es nochmal vor.  "Also nochmal." Er hielt die Saiten wieder fest. Ich wieder: "Nein, nicht die Finger auf die Saiten leg... Die Mutter: "Aber er hat doch gar nicht!" Ich: "Das können Sie doch gar nicht gesehen haben, Sie sitzen ja hinter ihm!" Sie: "Er hat ja nicht mal Weihnachtslie..." Der Sohn sprang auf, stampfte zornig auf: "Weil man dann ein Heft kaufen müsste, ich darf ja keines haben!!" Ich: "Weihnachtslieder wäre allerdings auch ohne Heft gegangen.. " Auweh, spontan keine gute Meldung von mir, aber zu spät...
Ich erklärte nun auch der Mutter, dass man jetzt keine Weihnachtlieder mehr spielt, und man auch andere Lieder... "Zimmerarrest" unterbrach sie in Richtung ihres Sprosses. Schimpfte weiter wegen Biologie, Mathe usw. und besonders wegen der Kosten für die Nachhilfestunden.

Die Stunde war aus.

Die Mutter: "Darf ich Sie bitte jetzt noch unter 4 Augen sprechen?"
Der Sohn stürmte wutentbrannt davon.

Es war nach 19 Uhr, ich hatte 7 Unterrichtsstunden hinter mir und versuchte nun, die Mutter während des Gespräches mit Körpersprache zum allmählichen Weitergehen zu animieren. Nichts zu machen, ihre Körpersprache sagte: Stehenbleiben!

Körpersprachenduell! *gg*

Ich erwähnte was von Pubertät, die sei doch bei allen schwierig, immer wieder erlebt und doch total normal. Von Umstellung der Synapsen bei Buben u.s.w. Sie: "Was soll ich aber machen!?" Da meinte ich, dass sie vielleicht die Leine länger lassen solle. "Gut, ja daanke, werde ich machen!", Wieder dieser unechte überhöflich Ton...
"Viele sagen später, die Pubertät sei die schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen."
"...ach ja, isch war da augh schwierig...Sie sind pschüchologisch aber gebildet! Haben Sie das denn auch studiert?"  Nein, nur Pädagogik. PFFF! "Er ist geizig!" ....??.. Aber vielleicht hatte sie ja "ehrgeizig" gemeint.
Auf dem Weg zur Tiefgarage an Vater und Sohn vorbei. Vater am Bürgersteig, Sohn auf der Straße, mit dem Rücken zum Vater, ich schnell weg.
Später fuhr ich an den dreien vorbei. Tief im Konflikt verstrickt standen sie da und diskutierten.
Später hätte ich mich Ohrfeigen können weil ich nicht gesagt hatte:
"Ihr Sohn ringt um sein Selbstbewusstsein!"

Leider fallen einem die entscheidenden Dinge oft erst zu spät ein.

Nickname 09.01.2013, 01.12

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Kommentare zu diesem Beitrag

2. von christine b

armes, armes kind!
was kann er dafür, dass er solche eltern hat, die von erziehung bzw. behandlung eines jugendlichen nicht viel ahnung haben, was sich dann besonders in der pubertät auswirkt.
zimmerarrest... du liebe güte, wenn sie so weitermachen....dann wird es immer noch schwieriger.
wenn dir auch leider der letzte sehr wichtige satz nicht eingefallen ist, so aber, dass sie die leine länger lassen sollten. das ist auch wichtig.
ich hoffe, du kannst mit dem jungen mann vielleicht noch mal kurz ein gespräch führen.
gerade musik würde ihm nämlich helfen, ein bisschen von den starren und eigenartigen ansichten und regeln seiner eltern wegzukommen und zu relaxen. der kann ja zuhause nicht mehr durchatmen!
noch ein wenig sport dazu, dann könnte er seine pubertätsschwierigkeiten besser meistern.
manche sind schon kotzbrocken in dieser zeit, tust mir schon leid tirilli!
ich denke, dass der junge mann vielleicht schon wahnsinnig viel gequengel und geschimpfe anhören mußte, sein selbstbewußtsein ist sicher im keller.
Die eltern nehmen ihm die freude an der musik,an vielem anderen sicher auch! echt schade.die sollten sich mal ein buch über pubertierende kaufen!!!

vom 09.01.2013, 20.11
Antwort von Nickname:

Tja, Christine, man kennt sich nicht aus. Es kam eine Nachricht auf die Mailbox. "Vielen vielen Dank für den Rat! Ich habe das gemacht und mein Sohn ist jetzt ganz glücklich!" sie meint das mit der langen Leine. Ich kenn mich nicht aus, es klang in der Nachricht für mich irgendwas falsch dran. Hm, weiß nicht, vielleicht auch nicht. Jedenfalls hab ich noch nie gehört, dass jemand mit Problemen so leicht glücklich zu machen ist. Na gut, morgen sehe ich ihn eh wieder und werde -  sehr vorsichtig und indirekt - ein bisschen reden. Danke Christina und liebe Grüße zu dir rüber!
1. von Hanna

Ja,die guten Einfälle hat man erst hinterher!Dein Beitrag war beklemmend zu lesen,es ist schon erschütternd,was in vielen Familien sich abspielt!Es stellt sich natürlich auch immer die Frage,ob man als Lehrkraft,auch wenn es nur im Musikunterricht ist,eingreifen sollte,oder muß!?
In der Schule gibt es ja die Vertrauenslehrer und der sollte bei
Auffälligkeiten entweder vom Schüler oder aber auch vom Lehrer hinzugezogen werden!
Ich wünsche dir,daß du stets die passende Antwort parat hast!
Liebe Grüße H.

:nachdenk:

vom 09.01.2013, 16.52
Antwort von Nickname:

Die Frage von der du schreibst, dass sie sich stellt, ist sehr berechtigt. Sowas ist immer ein Balanceakt. Ich werde nicht umrühren und nur versuchen, ganz dezent ein wenig auszugleichen indem ich ihn mal lobe und bei Gelegenheit positiv bestärke. Mehr kann ich nicht tun! Jedefalls sehe ich immer wieder, wie es dazu kommt, wenn später der Erwachsene ein bisschen schwierig oder eigen ist.
Herzliche Grüße Hanna!