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Das Phänomen Haider

Heute wurde er begraben und die Stadt befand sich im Ausnahmezustand.
Hinter uns haben wir nun eine Woche mit massenhaften Trauerbezeugungen, und die Menschen gaben sich durchaus unbeeinflusst von seinem schweren Verkehrsdelikt. Obwohl er mit 160 kmh an einer Stelle mit 70ger-Beschränkung gerast war und mit 1,8 Promille im Blut rücksichtslos auch andere gefährdet hatte, bleibt die gesamte Anhängerschaft treu. Was ja bei einem Normalsterblichen anders wäre, Otto Normalo wäre im gleichen Fall von unseren typischen Leuten normalerweise nur mit Häme und dem abtuenden "Selber Schuld" quittiert worden....
Zusätzlich wussten dann auch alle, wo er die letzten zwei Stunden seines Lebens verbracht hatte. Nämlich in einem Szenelokal das vornehmlich von Homosexuellen besucht wird. Das ist ja an sich nicht weiter verwerflich, nur, er hat dort außerdem gesoffen und das Volk sieht beides halt normalerweise nicht so gerne....

Und doch, er wurde als großer Österreicher und unter großer Anteinahme der Bevölkerung zu Grabe getragen und wird nun wohl zum Mythos reifen.

Die Überschrift dieses Beitrags lässt vermuten, dass ich jetzt als Landsmännin detailliert und klärend beschreiben werde, wie er zum Volkshelden wurde und warum so viele Menschen derart trauer(te)n. Das kann ich allerdings nur bedingt, zu vielschichtig ist das Thema. Ich werde daher nur die Komponente beschreiben, die mich selbst am meisten interessiert. Wer das Phänomen Haider genauer verstehen will, wird sich in das Thema vertiefen müssen. Ein paar Links dazu stelle ich am Ende dazu.

Mir ist wichtig, hier ein wenig klärend zu wirken, denn was ich in deutschen Blogs las, ließ mir teilweise die Haare zu Berge stehen.

Nein, hier leben nicht lauter faschistoide Menschen, auf jeden Fall nicht mehr, als sonst irgendwo auf der Welt.

Ich versuche mal ein wenig zu erklären:

Haider war ein willkommenes Objekt für die Medien weil er eine schillernde Persönlichkeit war und Charisma hatte. Was nicht automatisch bedeutet, er sei ein hervorragender Mensch gewesen... Vielmehr gab er sich als er der "toller Typ", nach dem die Gesellschaft stets lechzt und er passte Kleidung, Redestil und Gehabe jedem Klientel neu an. Den Journalisten und Fotografen stand er jederzeit begeistert zur Verfügung, mehr noch, er war dazu veranlagt, sich mit Genuss ablichten zu lassen und zusätzlich zu den Amtsgeschäften und der Parteipolitik ließ er es sich nicht nehmen, von einer Veranstaltung zur nächsten zu eilen. Dort schüttelte er jedem die Hände und hatte für alle ein paar persönliche Sätze übrig.
Die Leute stehen ja gerne neben Prominenten, fühlen sich von der vermeintlichen Leuchtkraft des Bewunderten selbst angeleuchtet und wenn so jemand das ermöglicht und dabei auch noch kumpelhaft agiert, hat er zumindest die Herzen der wenig Selbstbewussten und der Unkritischen schnell in der Tasche.
In unserem Bundesland gab es keine Zeitung oder politische Sendung, die nicht täglich über Haider berichtete und ständig Bilder von ihm brachte. Er hatte auf diese Weise im Wohnzimmer aller Platz genommen, ob man es nun wollte oder nicht, er wurde sozusagen Lebensmitglied. Sei er nun abgelehnt und gefürchtet gewesen, oder sei er verehrt worden, keiner konnte sich dieser Person entziehen. Da hätte man jegliche Medien konsequent ausschalten müssen. (Wie ich es genau deswegen teilweise immer mehr getan hatte)

So war durch den überraschenden Tod Haiders den Menschen ein inzwischen Vertrauter ganz plötzlich abhanden gekommen.

In Ermangelung anderer Persönlichkeiten wurde in den letzten Tagen dieses Vakuum mit Tränen und Emotionen gefüllt und alles, was nun über die letzten Stunden Haiders aufgedeckt wurde und das Bild des braven Ehrenmannes eigentlich erschüttern hätte müssen, war nur noch geeignet, den Überbringer der schlechten Nachrichten stellvertretend wütend zu verdammen.

Hilflosigkeit und Obsession der "Haider-Entzauberer" (Der Standard)
Haider, der unerkannte Austrofaschist (Robert Menasse in "Die Presse")
Haiders Verklärung (Egyd Gstättner aus Klagenfurt in der "Süddeutschen")
Klenks Watchblog
Der Lindwurm
Die Diadocherln (Günter Traxler in "Der Standard")
Das Ende einer Dienstfahrt (Robert Misik auf YouTube)
Haider von Ausländerbande ermordet? (Satirische Reaktion auf so lautende Gerüchte)

Nickname 18.10.2008, 23.20

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Kommentare zu diesem Beitrag

9. von Inge aus HH

Liebe Tirilli,

weißt Du, ich glaube, in alle Ländern gibt es linke und rechte Politiker und wenn man will, dann findet man bei jedem etwas auf der weißen Weste.

Es steht mir nicht zu in irgendeiner Form zu kritisieren, wir haben genug Politiker bei uns im Land, denen man nicht trauen kann. Das gilt übrigens nicht nur für diese Leute, sondern auch für uns Normalbürger und das überall auf der Welt.

Wie auch immer, ich denke, es hatte ein Mensch einen tödlichen Unfall und das ist traurig. Ob er nun selbst Schuld hatte oder nicht, das ist eine andere Sache. Immerhin ist es normal, wenn Menschen trauern, jeder auf seine Art.

Nein, ich denke nicht rechts, ich bin immer noch ein Mittedenker mit Vorbild Helmut Schmidt, aber es ist ein Mensch tödlich verunglückt und das ist in jedem Fall traurig.

Liebe herzliche Grüße von
Inge aus Hamburg
:nachdenk:

vom 19.10.2008, 19.30
8. von Brigida

Danke liebe Tirilli
Ja unter dem Himmel passieren schon so manche unglaublichen Dinge.... wie dieser tödliche Unfall.... und natürlich stürzen sich wieder alle auf ein Thema.....
Wenn sie sich doch endlich auf wirklich wichtige Themen stürzen würden ;o)
Du weisst, wie ich das meine....
Liebe Grüsse und alles Gute für Dich
Deine Brigida

vom 19.10.2008, 19.03
7. von Maria


Noch was:
Hier klicken

vom 19.10.2008, 13.38
6. von Maria

Danke, Tirilli, für die vielen Links.

Hier ist noch einer:
Hier klicken

LG
Maria

P.S.: Fühl Dich fest umarmt!

vom 19.10.2008, 13.23
5. von Eveline

Ergänzung:
Francesco hat's auch ganz gut zusammengefasst: Hier klicken

@ Quizzy
genau so!
Das Halbwissen ist gefährlich - sehr...
... und die Verallgemeinerung....


vom 19.10.2008, 09.07
4. von Quizzy

Danke, liebe Tirilli, für diesen informativen Beitrag, den ich voller Interesse gelesen hab. Nun wird mir endlich einiges klarer - du weisst ja, dass mich Politik normalerweise vollkommen kaltlässt.

Mir läuft jetzt ein kalter Schauer den Rücken runter, denn so wie dich politische Ignoranz erzürnt, rege ich mich auf, wenn Menschen angesichts der derzeitigen Börsenkrise auf einseitige Berichterstattungen hören und mich mit dummen "B.ild-Zeitungs"-Parolen nerven!

Ich wünsch dir einen erholsamen Sonntag

Liebe Grüße & einen Knuddler
Renate

vom 19.10.2008, 08.25
3. von Maria


Eher zufällig verfolgte ich gestern übers Internet die Feierlichkeiten in Klagenfurt.
Es war faszinierend. Und gleichzeitig wurde mir übel.

Ich fragte mich, wofür Jörg Haider stand/steht.
Was er stellvertretend für die Bevölkerung gemacht hat, dass er nun so verabschiedet wird.

Und keiner, wirklich niemand machte den Mund auf und erzählte, wie es war, wenn wer anderer nehmen ihm zu 'groß' und beliebt wurde und er diese Personen 'abschoss'.
Oder seine z.T. absolut 'verrückten' Aktionen, wenn er z.B.Österr. Gerichtshof herausforderte (Ortstafelfrage).

Ehrlich, ich sass davor und hab mich nur gewundert und fühlte mich ganz allein auf weiter Flur.

Danke, Tirilli, für diesen Deinen Kommentar.

Liebe Grüße Maria

P.S.: An Frau Schnuzl ein paar Streicheleinheiten von mir.

vom 19.10.2008, 08.08
2. von marion

danke besonders für den link zu r. menasse, ich finde, er hat das "phänomen" haider am treffendsten zusammengefasst.
in einem anderen artikel hiess es, er habe auf die frage, wovor er angst habe geantwortet: vor nichts. darüber darf sich jetzt jeder mal seine eigenen gedanken machen.
die handlungen, die letztlich zu seinem tod geführt haben, zeugen von einer grossen respektlosigkeit und verantwortungslosigkeit anderen gegenüber. mit dieser haltung hat er sich letztlich entlarvt. und dieses darf man seinen gesinnungsgenossen, die ihn nun zum mythos erheben wollen, getrost entgegenhalten. man wird bei der beurteilung der person haiders an diesen nackten tatsachen nicht vorbeikommen.

vom 19.10.2008, 00.45
Antwort von Nickname:

Manesse ist immer sehr interessant, ich finde ihn auch unbedingt lesenswert! Auch in anderen Themen trifft er stets den Nagel auf den Kopf.
*Dir feste zuwinke*


1. von Eveline

Weil mich diese oft so einseitige Berichterstattung so "anzipft", kommt von mir doch auch mal und gegen alle Prinzipien (hoffentlich bereu ich's nicht *g) ein politischer Kommentar *es geschehen noch Zeiten und Wunder....

Am allerschlimmsten bei der ganzen (ausländischen) Berichterstattung ist ja, dass so manch einer vom Rest der Welt der mehr oder minder glaubwürdigen Presse zu glauben scheint, dass die ~20/30.000 „Verehrer“ für ‚alle’ stehen und nicht kapieren, dass das weder alle Kärntner sind und schon gar nicht alle Österreicher, auch wenn sich manch ein einfaches Gemüt genau das suggerieren lässt...
...und dann waren noch die, die zu den Feierlichkeiten kommen mussten, Politiker, Beamte, Vereinsmitglieder - ich glaub ja nicht, dass die da alle standen, weil sie der gleichen (politischen) Meinung sind wie er....

H. war omnipräsent im Leben, dazu hatt er sich gemacht - es ist gar nicht möglich, dass er es im Tod nicht ist...

Bei den nächsten Wahlen wird sich sehr schnell zeigen, wie viele Menschen ihn als Person gewählt haben - die, die es nicht besser wissen, wählen den, den sie kennen - also den, der jeden Tag bei ihnen aus dem Fernseher schaut, präsent ist und ihnen die Hand schüttelt - und das tat er nun mal...
Ich glaube nicht, dass ohne ihn das Orange weiterhin so leuchtet...

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Gut's Nächtle liep Tii *ganzliebdrück*

vom 19.10.2008, 00.33