Ausgewählter Beitrag

Den Abend mit Rilke verbracht...

Aber nicht etwa nur lesenderweise. Jemand schenkte mir einen Text Rilkes, nach dessen Authentizität ich im Netz forschte. Er ist ja auf vielen Seiten zu finden, teilweise auch in Gedichtform. Aber bei rilke.de und ähnlichen Seiten fand sich gar nichts. Das machte mich natürlich erst recht neugierig.

Hier erstmal der Text, er ist so stark, dass ich ihn im Blog haben will, auch wenn er in dieser Zusammenstellung anscheinend nicht von Rainer Maria Rilke selbst stammt.

Man muss den Dingen die eigene, stille, ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt, und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen - und dann gebären…


Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht, ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer kommen könnte.

Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind,
als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos, still und weit…

Man muss Geduld haben, gegen das Ungelöste
im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben, und wie Bücher, die in einer sehr
fremden Sprache geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken, eines fremden Tages
in die Antwort hinein.

Rainer Maria Rilke, aus "Briefe an einen jungen Dichter" steht bei manchen dabei, aber der Originaltext lautet so:

Geben Sie jedesmal sich und Ihrem Gefühl recht, jeder solche Auseinandersetzung, Besprechung oder Einführung gegenüber; sollten Sie doch unrecht haben, so wird das natürliche Wachstum Ihres innern Lebens Sie langsam und mit der Zeit zu anderen Erkenntnissen führen. Lassen Sie Ihren Urteilen die eigene stille, ungestörte Entwicklung, die, wie jeder Fortschritt, tief aus innen kommen muß und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann. Alles ist austragen und dann gebären. Jeden Eindruck und jeden Keim eines Gefühls ganz in sich, im Dunkel, im Unsagbaren, Unbewußten, dem eigenen Verstande Unerreichbaren sich vollenden lassen und mit tiefer Demut und Geduld die Stunde der Niederkunft einer neuen Klarheit abwarten: das allein heißt künstlerisch leben: im Verstehen wie im Schaffen.
Da gibt es kein Messen mit der Zeit, da gilt kein Jahr, und zehn Jahre sind nichts, Künstler sein heißt: nicht rechnen und zählen; reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht ohne die Angst, daß dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch. Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos still und weit. Ich lerne es täglich, lerne es unter Schmerzen, denen ich dankbar bin: Geduld ist alles!

Auszug aus einem Brief Rilkes an Franz Xaver Kappus 1903

Dies nur, um zu klären, dass dieses "Gedicht" mit den verschiedenen Überschriften im Netz, nicht ganz authentisch zu sein scheint, so wunderbar und lehrreich die Aussage in dieser Zusammenstellung auch ist.

Nickname 24.04.2009, 01.57

Kommentare hinzufügen


Kommentare zu diesem Beitrag

2. von katinka

"und mit tiefer Demut und Geduld die Stunde der Niederkunft einer neuen Klarheit abwarten: das allein heißt künstlerisch leben: im Verstehen wie im Schaffen."


Ich liiiiiiebe Rilke! :-)
Ein wunderbarer Text, den ich so, obwohl ich soviel von Rilke in den Regalen stehen habe, nicht kannte.


vom 24.04.2009, 16.53
1. von Quizzy

Wunderschöne Zeilen sind das - danke für's Veröffentlichen!
Sicher weisst du, dass Rilke in München gelebt hat - hier hab ich einen Link mit den genauen Adressen gefunden:
Hier klicken
Die werde ich mir bei meinem nächsten Spaziergang mal genauer anschauen!
KNUDDELS
Renate

vom 24.04.2009, 08.07