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Eine Begegnung und über Kinderjahre

Ich muss etwas Erstaunliches erzählen!

Die ganze unten beschriebene Anamnese hindurch hatte die erwähnte Ärztin meinen Nachnahmen im Kopf und sie wusste gar nicht, warum! Ich hatte mich in der Anfangsphase gar nicht vorgestellt und wir kennen uns nicht! Aber, wir kannten uns! Vor etwa 40 Jahren, in der Kindheit waren wir ein Jahr lang Klassengenossinnen! Ich habe natürlich keinerlei Erinnerungen an sie. Und ich war damals ein Mädchen mit langem blonden Zopf, wirklich, da ist keinerlei Ähnlichkeit mehr! Ein Jahr und vor 40 Jahren in einer ganz argen Klasse, deswegen hatte sie auch diese Schule verlassen.

"Ausgerechnet an mich kleines gemobbtes Nichts im Klassenverband erinnern Sie sich?" "Doch, weil du von Chile kamst und so nett warst."  "Ich nett? Ich war doch die, die sich stets unterwürfig gab und überall um Freundschaft heischte, es gelang aber nie, ich hatte keine Chance." Doch sie erinnerte sich, auch an eine andere Mitschülerin von der auch ich noch weiß. "Ich weiß nicht, warum, aber ich habe noch jahrelang an dich denken müssen" Ich kann es kaum glauben!

Wegen dieser rabiaten Klasse waren das die schlimmsten Jahre meiner Kindheit. Jederman durfte mich schlecht behandeln, traf ich auf die böse Clique vor der Schule, wurde ich vom Rad gerissen und verhauen. Ich wusste nicht, dass diese Klasse besonders arg war und bezog das alles nur auf mein eigenes unvollkommenes Wesen. Ich flehte mit Hilfe von Nettigkeiten um Freundschaften und umso mehr ich das tat, desto schlimmer wurde es. Damals lebte ich in tiefer innerer Depression, doch keiner merkte das. Nicht die Mutter, der Vater erst recht nicht, der kam spätabends müde heim und war für die Strafe zuständig wenn die Mutter sich über mich und meine schlechten Schulnoten beklagte. Die Strafe waren körperliche Züchtigungen. 

Ich selbst wusste das mit der Depression natürlich erst recht nicht, die Welt war halt so, Kinder habe ja keinen Vergleich.
So hatte ich das Übel in der Schule und zu Hause auch. Die Folge war, dass ich mich beim Aufgaben machen in meine Phantasiewelt zurückzog, träumte und immer furchtbar trödelte. ( Die Trine wurde ich damals! *g*)
Bald hatte ich in allen Hauptfächern ein Nichtgenügend, was das Selbstbewusstsein noch tiefer rutschen ließ. "Du wirst Straßenkehrer werden!!" wurde ich immer zu Hause ausgeschimpft und so manche Lehrerin zeigte mir offen und hämisch ihre Verachtung.
"Du willst in eine höhere Schule?? Du taugst höchstens zur Putzfrau, stell dich weg!"

Es war ausweglos und einmal, als mein Vater mich wieder schlug, sperrte ich mich ins Klo und er konnte durch die Milchglastür sehen, wie ich am Fenstersims stand und ihm androhte, vom dritten Stock zu springen. Ich hätte es nicht getan, wollte ihm nur Angst machen, in meiner Hilflosigkeit sah ich darin die einzige Möglichkeit, seinen überaus festen wütenden Schlägen zu entkommen.

Ich fand eine Freundin in der Nebenklasse. Sie war in einem sogenannten B-Zug, damals die Schulform für weniger begabte Kinder. Doch dann wurde ich in die Direktion gerufen, ein in der damaligen Schulhierarchie fast ungeheuerlicher Vorgang. Verschüchtert saß ich da und erfuhr, dass mir verboten sei, mit diesem Mädchen Umgang zu haben. Es war anscheinend eine sogenannte "Stürzlerin" doch das erklärte man mir nicht, es wurde nur einfach verboten und ich empfand das als arg ungerecht, mir die einzige Freundin zu nehmen. Ich habe selten in meinem Leben so abgrudtief geheult wie damals vor dieser alten Direktorin. Sie wunderte sich zwar wie ich merkte, fragte aber nichts weiter, verboten und Schluß!

Ich habe mich dann in der nächsten Schule aus eigener Kraft aus dem Dilemma gezogen und wurde sogar eine leidlich gute Schülerin.

Fast das ganze Erwachsenenalter hindurch spürte ich den seelischen Schaden aus dieser Zeit, er war mir stets bewusst. Inzwischen ist das überwunden. Mehr noch, ich empfinde nun, wie ich aus dieser harten Zeit sogar profitiere. Indem ich sensibilisiert bin für Dinge, die im zwischenmenschlichen Bereich nicht richtig laufen und indem ich den Schülern viel positive Bestärkung zu geben versuche.
Es hat mich aber auch in gewisser Weise zu einer Einzelgängerin gemacht....

Nickname 16.10.2008, 00.15

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Kommentare zu diesem Beitrag

8. von christine b

mein gott, tirilli, was hattest du für eine schwere und traurige kindheit.
damals wußte man über kinderpsychologie soviel wie gar nichts.
die eltern meinten manches "gut", schlagen, unterdrücken... und hatten keine ahnung, was sie ihren kindern antaten.
tirilli, das hat dich sicher weich gemacht für deinen beruf und die kinderseelen, die du unterrichtest.

an meine schulzeit denke ich absolut nicht gerne zurück, wohl aber an das eine jahr im kloster, als ich 10 war, da war ich lungenkrank und dort herrschte ein angenehmes, schönes klima.
in der schule wurden wir alle unterdrückt von einigen, jedoch nicht allen lehrern, nette hatten wir auch.




vom 17.10.2008, 08.25
7. von Claudia

Vielen Dank Tirilli für diese Geschichte aus Deinem Leben.

Manches habe ich wiedererkannt. Nur war ich nicht nur ein Jahr lang in einer schlimmen Klasse, sondern fast meine ganze Schulzeit aus bestimmten Gründen in der Außenseiterrolle.
Es hat oft weh getan, doch es hat mich auch hart gemacht. Anders als Du, habe ich mit Trotz reagiert und "jetzt erst recht" mich nicht angebiedert.
Vielleicht rührt auch daher meine Abneigung gegen zuviel Konformität.
Meine schlechten Schulleistungen im Gymnasium lassen sich damit aber nicht entschuldigen - das war was anderes, obwohl es auch ein Protest war.

Aber wie man an uns und anderen, die schlimme Erinnerungen an die Schulzeit haben sieht: es ist doch noch was aus uns geworden :D

Mei hoffentlich gehts mit dem Schnunzerl doch wieder aufwärts!!!

Drück Dich
Claudia

vom 16.10.2008, 23.18
6. von frechdachs

Reiche dir die Hand bezügl. Schule und darausfolgendes Einzelgängertum. Die ersten beiden Jahren war ich in einer Dorfschule, alle Klassen in einem Raum, intensive Betreuung durch den Lehrer, keine Auffälligkeiten. Leider wurde die Schule aufgelöst und wir wurden Dorfweise in einen Bus geladen und 6 km weiter verfrachtet. Dort sass ich ziemlich weit hinten und konnte noch nicht mal erkennen, dass vorne an der Tafel geschrieben wurde, so schlecht sah ich unerkannterweise. Irgendwann fiel das dann doch mal auf und ich bekam eine Brille verpasst. Leider war die nie stark genug, Mathearbeiten wurden immer verhauen, weil ich die Zahlen nicht erkennen konnte. Ich versuchte es mit umgedrehter Brille und bekam einen Anschiss von der Lehrerin: "Spiel nicht rum, sieh zu, dass du fertig wirst!" Bis zum Alter von 18 Jahren bekam ich bei jedem Augenarztbesuch neue Gläser verordnet. Mit 18 bekam ich Kontaktlinsen und wurde ein anderer Mensch. Vorher mit arg eingeschränktem Sichtfeld immer total verunsichert.

Ach ja, die schlimmste Mobbingattacke hatte ich, als ich auf elterliche Anweisung beim Ausfall der 1. Stunde zum Friseur gehen musste, und mir dort die Haare total verschnitten wurde. Nach zig mal nachschneiden rief die Stümperin eine Kollegin zur Hilfe, die mir fast einen Glatzkopf verpasste. Die Hänseleien dann in der Schule waren prägend. Noch immer graut es mich, wenn ich zum Friseur muss!

Liebe Grüße,
frechdachs

vom 16.10.2008, 13.03
5. von Rita die Spätzin

Liebe Tirilli,

fühl dich umarmt und bissi gedrückt

Grüßle Rita

vom 16.10.2008, 13.02
4. von Brigida

Liebe Tirilli
Wie ähnlich ging es bei mir zu....nicht umsonst fühle ich mich mit dir verbunden ;o)
Ganz ganz liebe Grüsse
Deine Brigida

vom 16.10.2008, 09.23
3. von Eveline

Wie viel doch oft in der Kindheit schon kaputtgemacht wird :)
Dass Kinder grausam sein können, ist nichts Neues, aber dass die Pädagogen (!!) auch nicht gscheider sind...
(nicht, dass es heute viel anders wäre :()

Deine Geschichte zeigt aber auch, dass du - natürlich!!! - damals schon liebenswert (liebens-wert!) warst, nur hat dir das leider keiner gezeigt...

Hab dich lieb, liep Tii *liebdrück* :)
Busserls, Eveline

vom 16.10.2008, 09.19
2. von SabineLi

Ach liebe Tirilli, das tut mir so leid!

Fühl Dich mal von mir in den Arm genommen!!!
LG Sabine
Und für Deine Katze sind hier sämtliche Daumen und Pfoten gedrückt!!!!
:-)) :-)

vom 16.10.2008, 09.11
1. von Edith

Ich bin tief betroffen. Du hast (mit kleinen Abweichungen) mein Kinderleben
erzählt. Und auch ich kam später zu dem
gleichen Fazit.
Danke, Tirilli

vom 16.10.2008, 08.32