Ausgewählter Beitrag

Eine unheimliche Begegnung bekannter Art.

1. Akt

Der frisch pensionierte Orchestermusiker stand in der Tür des Prüfungszimmers und wollte in die Schule aufgenommen werden. Er lächelte sehr sanft und sprach äußerst höflich, fast gräflich muteten seine Gesten an und sein Akzent ließ ahnen, dass er wohl irgendwo im Osten aufgewachsen sein dürfte. Freudig zeigte er sein Instrument, ließ ein paar Töne erklingen und jeder im Raum spürte seine Freude an der Sache. Obwohl er vermutlich einer von diesen schwachen Männern war, die sich durch ihre zarte Sensibilität wenig durchsetzen können, schaffte er es, ganz gegen meine Gepflogenheiten, ein paar Privatstunden herauszuschlagen. Sehr ungern gab ich nach, denn ich empfand mich eigentlich als beschäftigt genug. 

Das war im letzten Frühsommer und wir hatten sogar dann gleich mal eine erste Unterrichtsstunde. Im Sommer fuhr er dann in sein Heimatland und kaufte sich ein noch besseres Instrument.

Und nun war Herbst, wieder Schule, er brachte nach einem Telefonat sein altes Instrument vorbei, es sei zu verkaufen, ob ich jemanden wüsste. Ich müsse herumfragen, meinte ich, das könne etwas dauern. Aber er könne es doch zur Ansicht da lassen? Gesagt, getan. Drei Wochen vergingen und in mir regte sich langsam schlechtes Gewissen, weil ich ihn noch immer nicht angerufen hatte um ihm endlich eine Unterrichtsstunde anzubieten. Ich rief nun also an.

Ein paar Tage später hatten wir dann endlich die zweite Unterrichtsstunde.  Er nervös, die rechte Hand zitterte beim Spiel, es war ihm peinlich als Berufsmusiker so zu wirken, ich aber beschwichtigte unaufgeregt, das würde doch auch ich kennen, es sei doch normal.
Und dann lehrte ich wie gewohnt. Das Instrument sei vielleicht verkauft, berichtete ich außerdem. Er freute sich sichtlich und verabschiedete sich dann, wie dort im Osten üblich, mit zwei sanften Küssen auf beiden Wangen.

2. Akt

Am Anrufbeantworter eine Nachricht.

(Im militärischen Ton, am Ende jedes Satzes moduliert die Stimme auffällig nach unten, wie abgelesen. Wortwörtlich wiedergegeben)

Guten Tag, mein Name ist Mustermann Maria*. Ich rufe Sie an wegen dem Instrument meines Mannes das sie seit ü b e r  e i n e m  M o n a t bei sich haben und wo es widersprüchliche Aussagen ihrerseits gibt. Einmal ist das Instrument verkauft, einmal wieder nicht, kurz und gut, ich hole h e u t e das Instrument in der Schule zwischen 14 und 14:30 ab und Sie sind gut beraten, es auszuhändigen, wenn Sie keinen Ärger haben wollen. Des Weiteren werde ich die letzte offene Stunde b e z a h l e n, denn eine weitere Stunde wird mein Mann bei Ihnen n i c h t absolvieren. Sie können natürlich versuchen, meinen Mann am Handy zu erreichen, wie Sie es ja schon oft getan haben, des öfteren, meinen Mann, den sie liebevoll Karol* nennen, aber ich würde Ihnen d r i n g e n d davon abraten. Also ICH bin heute in Ihrer Schule und ICH nehme das Instrument mit nach Hause, auf Wiederhören!

3. Akt.

Ich beschloss, den Anruf nicht gehört zu haben. Denn ich wollte ihr meine Informiertheit nicht schenken, wollte sie nötigen, noch einmal alles von Angesicht zu Angesicht erklären zu müssen.
Sie stand schon etwa eine Stunde vor der Tür. Ich hatte es bemerkt, wenn die Tür aufging und neue Schüler das Klassenzimmer betraten. aber ich kümmerte mich nicht darum. Plötzlich stand sie da: "Ich hole das Instrument!" meinte sie knapp. "Welches Instrument?" antwortete ich höflich lächelnd. "Ich hatte Sie doch angerufen!!" Schnell griff ich nach meinem Handy. "Nein, am Festnetz!" "Ach so. Kommen Sie doch weiter" säuselte ich höflich, "worum geht es denn?" Sie legte es dar und log, einen Käufer selbst gefunden zu haben. "Gratuliere, fein, ist ja schwer, jemanden zu finden, nicht?" Nun suchte ich in der Zimmerecke hinter dem Standspiegel unter den vielen dort befindlichen Instrumenten, nahm zuerst die falsche, bis dann endlich die richtige ausgepackt war. "Ja, ich erkenne sie, das ist eindeutig die meines Mannes!" sagte sie so streng wie ich es schon von ihr kannte. Ich hob das Instrument liebevoll hoch. "Sehen Sie mal die herrliche Maserung, ist das nicht wunderschön?" meinte ich im freundschaftlichen Ton. Das war ihr entschieden zu viel, sie explodierte regelrecht. "Ich zahle jetzt, und zwar s o f o r t! Ach, das brauchen Sie doch nicht, Ihr Mann meinte, dass er heute eh noch vorbei kommt, ich weiß ja auch gar nicht mehr, was wir ausgemacht hatten. "A b e r ICH weiß es, 20 Euro!" Sie warf den Schein auf den Tisch. "Und meinen Mann sehen sie NIE wieder!!" Ich tat verdattert. "Aber was ist denn los? Ist etwas passiert?" "DAS kann ich vor dem," sie zeigte mit dem Kinn zum sehr verdatterten Schüler, "nicht sagen, hören Sie den Anrufbeantworter ab!" Schnell packte sie das Instrument und war auch schon verschwunden.

Später erzählte mir eine Kollegin von der wohl krankhaften Eifersucht, von der sie auch schon gehört habe. Außerdem hätte die Frau ihr Leben lang unter Komplexen gelitten, weil sie so sehr nach unten geheiratet hätte, Musiker seinen für sie nämlich das letzte..... Sie selbst war übrigens mal Sekretärin im Theater...

Noch habe ich nichts von ihm gehört. Bin ja neugierig, wie das weiter geht, denn der bedauernswerte Kerl hatte von mir noch Noten ausgeborgt.... 

Der ganz normale Wahnsinn?

*Namen geändert

Nickname 22.10.2010, 00.07

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Kommentare zu diesem Beitrag

3. von christine b

unglaublich- der arme mann!!!

vom 23.10.2010, 14.33
Antwort von Nickname:

Finde ich auch!! Er kommt wieder, sie hat es ihm erlabut, pfff..
Liebe Grüße!
2. von vonferdl

weil Du auch allen mannsbildern den kopf verdrehen musst .....

vom 22.10.2010, 12.28
Antwort von Nickname:

Aha, du also auch... naja. Wusste ichs doch. Fein. Aber bitte in Maßen!
1. von Viola

Jepp! Der ganz normale Wahnsinn.
Das habe ich selbst einmal gelebt - Eifersucht, dafür schäme ich mich den Rest meines Lebens vor all den Menschen, denen ich DAS zugemutet habe.
Ich schwör Dir - sie ist auch bedauernswert, zumal sie es offensichtlich ohne Erkenntnis im Alter immernoch lebt.
Sucht eben - und sehr zerstörerisch.


vom 22.10.2010, 08.44
Antwort von Nickname:

Danke für das was du geschrieben hast, dieses Outing, ich staune ein bisschen. Musst du ja gut überwunden haben, eindeutig.
Doch, ich habe ihre Dunkelheit gespürt, leider halt eine Form, die den Partner und andere besonders mitleiden lässt, tja...
Liebe Grüße an dich!