Ich saß ganz allein da als eine hübsche junge Frau hereinkam. Sie fragte, ob man seine Ankunft melden müsse und wählte, nachdem ich verneint hatte, fahrig den entferntesten Sitzplatz. Ich beugte mich wieder über meine Zeitschrift, aber wie das halt so ist, trotzdem nahm ich mit allen Sinnen ihre innere Unruhe wahr. Dann sprang sie auf, verschwand grußlos und kam nach wenigen Minuten doch wieder zurück. Nur kurz später erschien ein Mann der altersmäßig ihr Vater hätte sein können. Er gehörte irgendwie zu ihr, denn er begann für mich unverständlich auf sie einzureden. Besser gesagt, er nuschelte und raunte ihr zu und ihr Blick war dabei so aufmerksam aber auch verlegen ihm zugewandt, dass ich mit einem flüchtigen dezenten Blick erkannte, er könne nicht ihr Vater oder gar Freund sein. Nun flüsterten sie intensiv miteinander. Ich versuchte, höflich wegzuhören und blieb demonstrativ in meine Zeitschrift versenkt. Plötzlich standen beide auf, grüßten und waren auch schon fort.
Auf mich wirkte diese Episode wie eine Therapieszene für eine Klientin mit Zahnarztphobie. Ich fragte später den netten Zahnarzt und seine über den Durchschnitt guten und fürsorglichen Assistentinnen ob sie noch jemanden erwarten. Ja, eine Schmerzpatientin, eine Touristin vermutlich. Ich erzählte und wir unterhielten uns lange über Patienten mit
Zahnarztangst.
Am Ende sagte eine Assistentin aber: "Selber Schuld! Wenn sie nicht kommt, muss sie halt weiter mit Schmerzen leben!"
Also ich weiß nicht... dieses "Selber Schuld" wird meiner Meinung nach viel zu häufig verwendet. Ich mag diese Äußerung nicht sehr und verwende sie nur selten. Schließlich ist sie eine Abkürzung von: "Selber Schuld, kein Mitgefühl!" Es ist der bewusste Hinweis darauf, dass man keinesfalls zu Mitleid bereit ist, es nicht empfinden kann. Und es suggeriert auch, dass man sich selbst für einen hält, der über Fehler erhaben ist.
Die Gesellschaft kann ganz schön hart sein. Mitleid haben zu können, ist eine Tugend. Aber ich bin mir in meinem Urteil nicht sehr sicher. Vielleicht sagen das auch oft Menschen, die Mitleid so tief und intensiv empfinden können, dass es sie stresst. Vielleicht blocken sie nur aus notwendigem Selbstschutz ab.
Ich habe oft Mitleid. Ist das etwa ein Zeichen dafür, dass ich dieses Gefühl oberflächlicher empfinde als manche andere? Schließlich bin ich um nichts besser als der Durchschnitt, das weiß ich.
Deine Haltung ist(so denke ich)nicht oberflächlich,sondern empathisch. Du hast eine gute Vorstellungskraft und kannst Dich in in andere einfühlen und mitempfinden. Wenn es nicht möglich ist weiterzuhelfen, ist es auch wichtig sich abzugrenzen. Nimmt man zu viel auf von den Sorgen und Nöten anderer, wird man selbst krank und kann auch nicht mehr helfen. So ist jedenfals meine Erfahrung für mich selbst.
Liebe Grüsse von Elfie
vom 03.08.2006, 11.01