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Im Speisewagen durch Bayern.

In Ungarn gibt es keine Seehunde. Daher versuchte ich dem Herrn Ober aus Budapest ein anderes Tier anzusehen. Einen Biber vielleicht? Nein, nichts zu machen, treuherziger Seehund! Wortreich und mit lebhaften Flossenbewegungen pries er mir sein ungarisches Frühstück, es sei überhaupt und sowieso das beste von Szeged bis zum Plattensee. Pawlow hätte seine Freude gehabt, so sehr lief mir nun das Wasser im Mund zusammen und so bestellte ich ganz gegen meine Gewohnheit.

Anfangs fiel Herr Seehund  sonst nicht weiter auf, er verhielt sich wie man es von einem Ober erwartet. Zumindest, solange ich das einzige Tierchen im Speisewagen blieb. Als dann aber ein alter englischer Schnauzer seine blonde junge Adlerlady herein geleitete, hob unser kellnernder Seehund frohgemut zu trällern und zu tänzeln an. Hell flogen gefühlvolle ungarische Lieder schmetternd über unsere Köpfe hinweg, nur kurz unterbrochen von einigen höflichen "Bittäsähr".

Ich war inzwischen an einem getarnten Stückchen harmlos grün aussehender Paprika beinahe erstickt, denn es hatte sich mit grausamer Schärfe für das jähe Ende seiner Existenz zu rächen gewusst.
Trotz nun kaum zu unterdrückendem Schluckaufs gelang es mir, mit rhythmischen Zeigefingerbewegungen halbwegs dezent auf meine Misere aufmerksam zu machen. Die terroristische Paprikaattacke animierte Herrn Seehund aber nur, freudestrahlend und stolz über seine „Bin Laden-Paprikas“, so nannte er sie, zu sinnieren. Für seine Freudenausbrüche gab er aber leider keinerlei Begründungen ab. Typisch Seehund eben, tierisch!

Ein inzwischen hinzugekommenes Eichhörnchen fühlte sich bemüßigt, nun demonstrativ und mit unbewegter Miene die Krone jenes ungarischen Speisewagen-Frühstücks, eben diese gemeingrüne Paprika zu verzehren. Er tat doch tatsächlich so, als wäre sie so unschuldig wie der Käse aus Balaton! Was in ihm dabei vorging ließ sich nur schwer erahnen, feuchten Blickes und mit aufreizend unbeeindruckter Miene war es augenscheinlich sein einziges Ziel, die vorbeiziehende bayerische Frühlingslandschaft auswendig zu lernen. Ich konnte mit Hilfe meines spiegelnden Fensters gut beobachten und zufrieden lehnte ich mich zurück als ich sah wie er mir doch manchmal ein paar heimliche Blicke zuwarf.
Aber ich bin abgeschweift, zurück zu unserem Herrn Ober-Seehund.
Er war gerade dabei, auf ein unmotiviertes "Njet" jenes rassigen aber trotz allem nicht russischen Hengstes da hinten am letzten Tisch mit vielen langgezogenen Koloraturen  aus irgend einer Coca Cola-Werbung zu reagieren. Der Herr Hengst und ich unterdrückten den uns peinlichen Lachkrampf zugegebenermaßen nur äußerst unbeholfen und natürlich verlor ich den Wettkampf wer es schafft, zuerst ernst zu schauen. 

Nach einem kurzen Rap für eine unscheinbare Eidechse die jetzt unbedingt sofort zahlen wollte, wandte sich unser netter ungarischer "König aller Speisewagenschaffner" endlich wieder mir zu und rief mit glöckchenheller Stimme:

"Eine gute Aprikoseschnaps bittäschän trinkän?"

Ja ja, ich trinken....

Nickname 28.06.2005, 01.09

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Kommentare zu diesem Beitrag

4. von Vodia

köstlich, einfach köstlich! Kann mir das so richtig bildlich vorstellen!

Und was noch schöner ist: Wenn ich jetzt deine Texte lese, höre ich sie im Geiste mit Deiner Stimme gesprochen...
Das menschliche Gehirn ist schon ein Wunder, nicht?

Herzlichst Vodia

vom 28.06.2005, 14.22
3. von Eveline

Guten Morgen liebe Tirilli :)
Du bist göttlich :D :D
So gemeine Attacken rechtfertigen auch einen Schnaps am Morgen :D
Ich glaub, Kärntner "hebn" des genauso wia Tiroler :D :D :D

Wünsche dir einen wunderschönen Tag!!!

Alles Liebe!

vom 28.06.2005, 09.23
2. von Frau Waldspecht

Und ich trink einen mit!! ;-) )
Grüßle und einen schönen Tag!!

vom 28.06.2005, 08.09
1. von Renate

Na, da hat sich's Aufbleiben doch noch gelohnt ... danke, liebe Tirilli, für die herzerfrischende Geschichte! Und wie froh bin ich, dass du die Paprikaattacke heil überstanden hast! :D

vom 28.06.2005, 01.16