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So behindert man Kinder....

Karla* kam in die erste Unterrichtsstunde nach Weihnachten. Wir erarbeiteten gleich mal ein neues Stück, als anregender Neubeginn nach immerhin 2 Wochen Ferien. Irgendwann begannen wir dann ein Gespräch.

"Hast du zum familiären Weihnachtsfest etwas vorgespielt?"
"Ja, drei Lieder."
"Und ist es dir dabei gut gegangen?"
"Jaaa... hm... geht so." Achselzucken.

Fast alle Schüler spielen zum Weihnachtsfest Weihnachtslieder, im Solo, animieren dann zum Singen und begleiten auch.

Karla ist 13 und schon einige Jahre meine Schülerin. Als sie jünger war, sagte ich in der gleichen Situation dann noch: "Und hast du in die Augen der Erwachsenen gesehen? Hast du das Leuchten bemerkt? Erwachsene lieben so etwas, ihnen wird dann immer ganz warm ums Herz und sie erinnern sich noch Jahre später daran mit Freuden! Vermutlich haben sie dich auch fotografiert oder sogar gefilmt?" Solche Worte sollen das Gefühl von Stolz und Freude noch einmal wecken um diese positiven Erlebnisse zu festigen und die Motivation für solches Tun zu stützen. Denn immerhin ist so ein Vorspiel ja nicht nur ein Klacks!

Wir spielten gerade wieder, als die Mutter hereinkam und es sich auf einem Besuchersessel bequem machte. Das tut sie oft, eigentlich jedes Mal für etwa zehn Minuten.
In einer Spielpause donnerte sie los und rief ihrer Tochter zu:
"Ich hab gerade zufällig den Opa getroffen. Der hatte gemeint, wozu gehst du überhaupt noch in die Mus.ikschule! Ist doch rausgeschmissenes Geld, so schlecht wie du an Weihnachten gespielt hattest, ja, das sagte er! Ist ja wirklich wahr, du übst viel zu wenig!!"

Ich beobachtet Karlas Reaktion. Sah, wie sie die Unberührte markierte und sich in gespielt lässiger Körperhaltung über das neue Stück beugte.

Gegen Eltern darf ich nichts sagen, muss stets sehr höflich sein. Und wenn schon, dann kann ich nur intervenieren, wenn das Kind nicht dabei ist und das muss ich stets äußerst zurückhaltend tun. So schwieg ich im Moment nur, war aber ordentlich betroffen.

Aber als die Mutter dann gegangen war, begann ich sehr vorsichtig, das Thema noch einmal anzusprechen.

"Das hat jetzt weh getan, gell?"
Karla bekam feuchte Augen.
"Mach dir nichts draus! Das ist doch das Problem von deinem Opa und nicht deins!"
"Immer meckert mein Opa, bei allem! Entweder hat die Mama zu viel Suppe gekocht, oder zu wenig, oder nicht gut genug, er meckert nur!"
Ich strich mit selbstbewusster Miene etwas von meiner Schulter herunter und sagte dazu:
"Mach mal so Karla..!"
Sie ahmte diese Geste spontan nach, begriff aber zuerst gar nicht, was sie bedeutete.
"Weg damit, wir lassen uns nicht unterkriegen, putzen wir es weg...."
Sie sah mich nur unsicher an...
"Ich halte zu dir, Karla...."

Dazu muss man wissen, dass Karla wohl etwas Probleme mit Mitschülern hat, in der Schule insgesamt überfordert ist und stets im Leistungsstress steckt, auf den sie mit wegträumen reagiert, was wohl notwendig zu sein scheint, aber es macht das alles nicht gerade leichter....

Diese Geschichte ist wohl ein gutes Beispiel für "schwarze Pädagogik". Leider passiert das immer noch und vermutlich nicht selten. Dabei weiß man schon längst, dass Lernen am besten funktioniert, wenn es mit positiven Gefühlen gekoppelt ist. 

Ich sehe mich im Beruf nicht nur als eine, die das Eintrainieren einer Fähigkeit zu vollziehen hat. Der ganze Mensch sitzt vor mir und wenn ich ein wenig hin zum Guten ausgleichen kann, erfüllt mich das sehr und macht mich irgendwie zufriedener.

*Name geändert

Nickname 14.01.2010, 00.25

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Kommentare zu diesem Beitrag

4. von Jeanie

SO SCHÖN, daß es auch Lehrer wie Dich gibt!! Das mit dem Wegstreifen muß ich mir merken... Wie oft verletzen wir unsere Kinder mit blöden, unbedachten Bemerkungen - ich glaube, das passiert mir auch oft genug, obwohl ich mich stets bemühe, meine Kinder zu stärken und sie zu loben..

Aber diese Mutter (und der Opa!) - die sind ja schlimm.. wie kann man nur so gemein zu seinem Kind sein!! Gut daß Karla Dich hat...

vom 18.01.2010, 08.26
3. von Artista

So eine Reaktion der Mutter tut weh - das Mädchen tut mir richtig leid.

Schön, dass es dich gab in dieser Situation - das hat ihr sicherlich gut getan.

Das "Wegstreifen" praktiziere ich auch immer wieder.

LG
Artista

vom 16.01.2010, 09.22
2. von Eveline

Wieder mal, ich wiederhol mich: es sollte viel mehr Pädagogen wie dich geben!!

Wenn diese Allesschlechtreder und Miesmacher nur mal sehen würden, was sie für Schaden anrichten.... :wut:


Weiter so, Tii, Karla (und noch einige mehr) kann froh sein, dass du da bist!

Bussalans, Eveline

vom 14.01.2010, 13.45
1. von Bärenmami

Wie schön, daß Deine Schüler Dich als Ausgleich haben.
Hoffentlich streift sie noch so einiges andere ab.
lg Barbara

vom 14.01.2010, 06.00