Ausgewählter Beitrag

Theater und Menschenbild

Heute war ich im Theater. Trotz Krankheit wollte ich die Karte nicht verfallen lassen.
Aber ich bin in der Pause des 2 3/4 Stunden langen Stücks gegangen, und das nicht nur wegen meinem Unwohlsein.

Gespielt wurde „Zur schönen Aussicht“ von Ödön von Horváth. Inszenierung von Martin Kušej. (Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg)

Das Stück begann mit einem, der an Krücken schwer über die Bühne lahmte und sich dann in den Mund schoss. Die Personen die allmählich die trist gestaltete Bühne betraten, waren abgründig. Selbstbezogen, mitleidslos, grausam, lauernd und berechnend. Kaputte Menschen, ohne Lichtblick.

Dem Publikum wird von Kušej mit seiner Neuinterpretation des Stückes nichts erspart.

„Kušej imaginiert das absolute Schwarz, das unausweichlich Selbstvernichtende, den elegisch zelebrierten Horror-Trip.“
DIE WELT

Anscheinend hält er die Menschen für derart abgestumpft oder abgebrüht, dass er meint, sie mit drastischen Mitteln aufrütteln zu müssen.

Ich bin nicht abgebrüht. Habe es kaum ertragen und dabei gelitten. Hauptsächlich dieses schonungslose Offenlegen menschlicher Abgründe machte mir zu schaffen.

Mir schien, es würde versucht, mir wie mit einem Holzhammer klar zu machen, wie auch ich mir eine naive, also falsche heile Welt zusammengebastelt hätte. Das Gute im Menschen sei Luxus, schien die unausgesprochene Botschaft zu sein.

Aber ich will positiv sehen, ganz bewusst! Ich will in einigen Dingen naiv bleiben! Ich will mir mein Menschenbild nicht zertrümmern lassen! Denn ich denke, alles andere führt in eine Sackgasse. Und in die Verhärtung des mitmenschlichen Bewusstseins.

Ich will weiterhin zuerst an das Gute im Menschen glauben. Nicht nur, weil eine negative Grundstimmung nur weiter Negatives gebiert. Sondern auch, weil ich weiß, dass doch jeder im Grunde angstvoll an seiner Unvollkommenheit leidet.

Nickname 23.09.2006, 00.56

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Kommentare zu diesem Beitrag

5. von Kehrtraud

Wenn ich ins Theater gehe oder ins Kino, also wenn ich mal gehe, dannwill ich mich unterhalten, dann will ich mich amüsieren und will den Alltag vergessen. Den ganz alltäglichen Wahnsinn von Transrapidunglück bis lügende Politiker, von Klimakatastrophe und Kopftuchstreit usw usf - das darf man doch auch einmal abstreifen für ein paar Stunden, oder? Haben wir da wieder das Theater als morallische Anstalt, der Zuschauer soll als Geläuterter das Haus verlassen? Bitte gerne, aber ohne mich.

Krieg nur kein schlechtes gewissen, liebe Tirilli!
gruß
Kehrtraud

vom 24.09.2006, 09.09
4. von Eveline

Horváth ist schwerer Stoff.......

Man kann nicht einmal sagen, du hast das HappyEnd verpasst - es hat wahrscheinlich keins gegeben....

Nicht durch Negatives runterziehen lassen, wenn wir das alle täten, wären wir bald ausgestorben....
Es gibt so viel, nein, viel mehr Positives, wenn man die Augen offenhält und es sehen will....
Wenn das dann naiv sein soll, dann bin ich gerne in mancher Hinsicht naiv.....

Zu mehr bin ich heut nicht mehr fähig, bin positiv maushin ;)

Gut's Nächtle & Busserls

vom 23.09.2006, 23.43
3. von Osram Unke

Dachte sich doch Osram halbwegs, daß hier ein kleines Kränzchen der "GutmenschenInnen" stattfindet.
Ziel seiner sozialkritischen Volksstücke: "Demaskierung des Bewußtseins", der Kleinbürgermentalität durch die Sprache, den "Bildungsjargon", seiner Figuren; seine Stücke stellen eine "Synthese von Ernst und Ironie" dar. Grundelemente: "mißlingende menschliche Kommunikation, verfehltes Leben, gegenseitiger Haß, latente Gewalt, trügerische Idylle und Fassadenmoral,...
Nun er hat doch nicht unrecht!
Wird die Welt dadurch besser, daß ich die Tatsachen und die Realität negiere??
Lebe ich dann nicht nur in einer künstlich-rosaroten Scheinwelt...
Der Wahrheit muß man ins Auge schauen, durch Verdrängen ist nichts gelöst.
:D :D :D
Osram, der realistische Optimist

vom 23.09.2006, 20.32
Antwort von Nickname:

Lieber Osram, du hast hier, zumindest was mich betrifft, etwas übersehen. Es geht nicht um Ödön von Horváth, sondern um die Art Kušejs, dem Publikum die menschliche Dramatik zu vermitteln. "Synthese von Ernst und Ironie" war nicht. Kušej wagte eine Neuinterpretation, was ich ihm auch gar nicht vorwerfe. Ich schätze ihn, habe schon mehrere seiner fantastischen Inszenierungen gesehen. Hier geht es mir um etwas anderes. Blanker menschlicher Horror, zumindest in dem Teil, den ich gesehen habe, so drastisch ausgedrückt wie möglich. Eine Mode im Theater. DAS ist das Thema.
Ich muss nachdenken, vielleicht entsteht noch ein Beitrag darüber. LG.!
2. von Monika

Liebe Tirilli,
es ist unheimlich wichtig, dem Guten mehr Platz zu lassen, mit Dingen wie dieser Aufführung verstärkt man in meinen Augen nur das Schwarze, Negative.

Mit solchen Dingen werden die Leute erst abgestumpft. Und die Dosis dafür wächst langsam oder schnell...

Aufrütteln- aber nicht so. Ich glaube daß Leute sogar seelischen Schaden nehmen können bei so etwas, wie Du ja schon in eigener Erfahrng merktest (mir gings auch mal ähnlich vor vielen Jahren... das einzige Mal wo ich in der Pause ging... wut )

Man weiß, daß viel Übles in der Welt passiert, aber muß man sich dies in Details reinziehen? Ich finde es reicht es grob zu wissen und lieber dem Guten mehr Platz im Leben zu lassen... und es auch aktiv zu verstärken!
In diesem Sinne ist "Naivität" lebenswichtig. ( Lieber Naivität als Negativität und Depressivität!)

Bleib so, aber lass das Negative nicht zu nah im Detail an Dich ran, es hilft nicht es genau zu wissen.

Lieber Anfänge abwehren, wie Du ja schon öfter beschrieben hast.

Liebe Grüße ausm hoohen Norden,

Monika

vom 23.09.2006, 15.48
Antwort von Nickname:

Liebe Monika, danke für deinen Beitrag! Ich hoffe, du leierst mit deinem Kommentar eine Diskussion an. Ein bisschen hast du schon - Osram. Das gefällt mir! Aber noch weiß ich nicht, wie und ob ich noch etwas dazu schreibe. Mir wäre zwar danach, aber im Kopf ist noch nicht genug Ordnung. Ich bin großteils deiner Meinung, obwohl ich auch meine, man darf sich nicht ständig den dunklen Seiten des Lebens entziehen. Aber so meintest du es ja eh nicht, ich weiß. Es war auch das erste Mal, dass ich bei einbem guten Stück in der Pause gegangen bin. Allerdings auch, weil ich Kopfweh und furchtbaren Hustenreiz hatte. Dazu noch die Qual auf der Bühne... das war zu viel..
Nur in einem bin ich nicht sicher, ob du recht hast. Wegen dem "seelischen Schaden". Ein erwachsener Mensch hält das schon aus ohne dass er sich ändert, denke ich. Die Weltsicht ändert sich nur begrenzt, weil man ja nur Zuseher ist und nicht involviert. Wenn aber jemand eh schon latent Menschenverachtung lebt, kann er sich bestätigt fühlen und seine Misanthropie nur noch ungehemmter pflegen. Dann wird er einer von denen, die anderen das Leben schwer machen, wird vielleicht sogar das, was er unsprünglich verachtet. 
Liebe Grüße aus dem tiefen Süden! ;-)
1. von Renate

Liebe Tirilli,
vielen Dank für diese wunderbar formulierte Theaterkritik. Ich selbst hab immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich die Augen vor negativen Dingen verschließe und denke, dass es an meiner naiven Grundeinstellung liegt, die immer an das Gute im Menschen glaubt.
Ich wünsch dir für heute ganz viele positive Gedanken, denn die helfen ganz bestimmt beim Gesundwerden!!!
Und einen vorsichtigen KNUDDLER noch dazu (aber nicht zu fest - wenn du so angeschlagen bist ... :( )
Alles Liebe!
Renate

vom 23.09.2006, 10.06
Antwort von Nickname:

Oh Renate, das Lob habe ich nicht verdient. Ich wurde ja ganz persönlich, Theaterkritik muss doch allgemeingültiger formuliert sein? Danke dir aber vielmals!