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Weihnachtsnachlese

Die letzten Gäste sind vorzeitig abgereist, da ich noch immer krank bin. Der grippale Infekt lässt sich zwar noch nicht vertreiben, er ist aber andererseits nicht stark genug, mich gänzlich vom Computer fernzuhalten. So surfe ich ein wenig rum. Und fand gestern diesen ausgezeichneten Artikel in der Süddeutschen.

Heutzutage würde zu wenig erzählt, stand dort unter anderem! Stimmt, dachte ich und erinnerte mich an die Erzählungen der Seelenfärbler im seelenfärblerischen Adventskalender, wie gerne ich doch dort von deren Weihnachtserinnerungen aus der Kindheit gelesen hatte!

Na gut, dann erzähle ich auch. Aber vom heurigen Fest!

Zu Mittag trudelten Schwesterherz und ihr Lebensgefährte ein, nun waren wir vollständig. Die junge Familie war schon einen Tag davor angekommen und die dreijährige Carina hatte inzwischen längst alle und alles ordentlich aufgemischt.

Weihnachtliches war noch fast nichts zu sehen, dafür hatten wir gesorgt.
"Carina" säuselten wir, "heute kommt das Christkind!" Sie blieb gelassen. Aber wer weiß? Schließlich, wer vermag denn schon ins Herz hinein zu sehen.

Wir hatten heimlich diskutiert. Den Baum etwa schon aufstellen, bevor Carina mit Papa spazieren geht? "Nein, den Baum bringt doch das Christkind!" Ich entgegnete erstaunt: "Nanu, das hatten wir so nie gedacht."
Die Zeit wäre zu knapp gewesen. "Schau mal Carina, dort draußen vor der Tür! Das Christkind hat einen Baum abgeworfen!" rief nun der Papa und dann stellten wir den Baum gemeinsam auf.

Es war dunkel geworden und schon recht kalt da draußen. Für kindliche Spaziergänger gab es keinerlei Veranstaltungen, auch waren alle Gaststätten geschlossen. Papa und Carina waren zum See gefahren und betrachteten nun die weihnachtlichen Lichtinstallationen. "Papa, warum sind wir da alleine? Wo sind denn alle Leute?" "Die warten zu Hause aufs Christkind!" "Alle bei uns??" rief sie erschrocken, "aber das geht nicht!" "Nein, jeder bei sich. Das Christkind kommt zu den anderen auch." Skeptische Blicke. "Und wie soll es fliegen können"?

Als die zwei vorhin das Haus verlassen hatten, kam geschäftiges Leben in die Bude. Eine stürzte um die Schachteln mit dem Baumbehang, die andere holte flugs den Hocker, stellte sich drauf und in einer Eile, als gelte es das Leben, wurde der Baum geschmückt. "Reicht mir was rauf, schnell schnell!" Dann wurden Kerzen montiert und auch an allen möglichen Orten aufgestellt, Geschenke hervorgezerrt, eilends in Gruppen unter dem Baum drapiert und der Tisch gedeckt. Also naja... der Baumschmuck war nicht gerade optimal vereilt. "So machen wir das nächstes Jahr aber nicht mehr" murmelte jemand als er gerade beim Anzünden der Kerzen half.

Lichter aus, sie kommen! Wir alle standen nun im Vorraum und taten so, als ob wir gerade von der Kirche kämen. Ich hatte den Mantel halb an und Frau Mo trug ganz unmotiviert einen ihrer Stiefel in der Hand, das sah urkomisch aus.

11weihnachtsbaum_oval.jpgMusik tönte plötzlich vom Wohnzimmer her und ein sehr zartes Glöckchen bimmelte. Das war der Moment, den wir Erwachsenen uns sehr so ersehnt hatten, wir wollten das Leuchten in den Augen des Kindes erleben, seine freudige Überraschung genießen, eigentlich nur das, alles andere war  uns nebensächlich.

Aber das ging dann so schnell, die Überraschung dauerte nur Sekunden. Wir sangen noch was, ich begleitete auf der Gitarre. Und schon riss Carina ihr erstes Päckchen auf.

"Wieso hatte sie nur so kurz gestaunt?" fragte ich später. "Sie hatte bei den Nachbarn und noch woanders schon einen geschmückten Baum sehen können." klärte man mich auf.

Ich dachte wieder an die Seelenfärblergeschichten, fast alles Erinnerungen aus den 60gern und an den oben verlinkten Artikel. Damals, in Zeiten relativer Armut konnte man wohl intensiver feiern. "Was fehlte uns?" fragte ich mich diesmal mehr als je zuvor. Ich hatte später noch in die Kirche gedrängt, eben, weil etwas Unbestimmtes vermisst hatte.


Nächstes Jahr will ich etwas ändern. Ich will erzählen. Nicht aus der Bibel, das ist meinen Leuten durch zu künstlich weihevollen Ton in der Kirche wohl verleidet. Aber eine Weihnachtserzählung soll sein, auch ein Gedicht vielleicht. Und mehr musizieren sollten wir, das sowieso. Denn in unserer Zeit des Überflusses und der überbordenden Werbung haben Geschenke und ein Lichterbaum auf Kinder nicht mehr den Zauber, den sie einmal hatten.

Nickname 27.12.2011, 21.01

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Kommentare zu diesem Beitrag

4. von Hans-Jürgen

Bei uns war Weihnachten heuer so: Die zwei Lütten meiner Schwester mussten Lieder singen und Gedichte aufsagen, während ihre Augen nur auf die Geschenke gerichtet waren. Es war eine Qual, die auch für die Zuhörer zu lange gedauert hat. Manche Feste erträgt man eben nur mit Alkohol...

vom 29.12.2011, 18.28
Antwort von Nickname:

Danke für den prustenden Lacher! perlweiss.gif
3. von Sinta

Unsere 5 Enkelkinder (3-13 J.)waren da.
Beim Singen hatten alle nicht den strahlenden Baum, sondern die Geschenke fest im Blick.
Jede Zeit hat die passenden Kinder.

vom 29.12.2011, 09.27
Antwort von Nickname:

Das war schon immer so, auch bei uns, oder? Irgendwas stimmt wohl an der Abfolge nicht. *gg*
2. von Gabriela

Liebe Tirilli,
meine Erinnerungen waren ganz ähnlich der meisten aus dem Kalender, es gab immer ein wenig Programm, das ich mit den Jahren selbst vorgab.
Und heute? Ich zehre heute von den Erinnerungen, sei froh im Familienkreis feiern zu können, die Erwartungen sollten nicht zu hoch angesiedelt werden, aber ein Weihnachtsritual bleibt lange haften.

vom 27.12.2011, 23.01
Antwort von Nickname:

Liebe Gabriela, ich hoffe, es war nicht zu schlimm oder gar unertäglich...!
Sei herzlich umarmt!
1. von ursula

Hallo Tirilli :)
meine 27jährige Tochter las in unserer erwachsenen Familie dieses Jahr einfach so eine Weihnachtsgeschichte von Astrid Lindgren vor, von Tomte Tummetot: weise Wichtelworte raunte er den Tieren. Das war schön! Vielleicht wäre das auch etwas für eine Vierjährige?
Liebe Grüße aus Deutschland
Ursula

vom 27.12.2011, 21.42
Antwort von Nickname:

Jaaah, das mach ich! Danke für den Tipp! Aber es muss kurz sein, soviel habe ich begriffen. ;-)