Ausgewählter Beitrag
Die Welt ist rund und der Mensch eckig
Das kleine dunkle Cafe ist ein wenig muffig und wohl seit den Sechzigern nicht mehr renoviert worden. Aber es hat seine Stammkundschaft und die Wirtin ist beliebt, auch wenn sie stets wenig Mimik zeigt, Pokern wäre vielleicht das richtige für sie. Es fällt ihr schwer, schnell zu machen, das geht einfach nicht, auch nicht, wenn sie eine halbe Minute vor dem Jahreswechsel Sekt einschenkt.
In diesem Cafe liegt nicht viel Kuchen in der Vitrine, dafür wird aber immer wieder mal aufgekocht. Es ist halt ein Cafe der eigenen Art.
Alexander, ein nagelneuer Bekannter, demonstrierte mir lautstark krähend, wie Theo Lingen irgend einen Frauennamen zu rufen pflegte. Für die anderen Gäste kein Grund aufzusehen, hier schien sowas normal zu sein. Überhaupt fiel mir auf, dass in diesem Lokal wohl in der Mehrheit Silvesterverweigerer saßen, was sich dann auch um Mitternacht bestätigten sollte.
"Ich bin ein Schwuli und Alkoholiker" meinte plötzlich Alexander. "Ah geh, du bist höchstens Quartalsäufer, übertreib doch nicht immer so!" entgegnete sofort meine Freundin. Worauf Alexander traurig einen tiefen Schluck nahm und zu mir meinte: "Ich lebe das nicht, ich bin nämlich konservativ...
Das war für mich natürlich der Startschuss, auf Biegen und Brechen die bisherige Flirterei noch ordentlich zu verstärken...
Gegenüber auf den Barhockern die Leute, die konnte ich so nebenbei aber auch nicht aus den Augen lassen. Da saß zum Beispiel der in der Soutane mit seiner Geliebten. Ständig griff sie ihm an den Po, aber schnell bemerkte ich, dass sie dort eher an seiner Brieftasche nestelte, als die vermutlich schön straffen Rundungen zu liebkosen. Küsschen hin, Küsschen her, ja darf denn das ein Geistlicher überhaupt?
Daneben die zwei Typen im Partnerlook. Alexander blinzelte oft hinüber und murmelte verzückt: "Ach, das ist so schön..." Diese beiden Herren mit schicker Brille und in schwarzem Ledersakko hatten sich aber nicht viel zu sagen. Einer drehte sich endgültig zu uns und spielte rasend schnell sämtliche Mimiken durch, zu denen ein Mensch überhaupt fähig ist. Nebenbei palaverte er mit der Luft, was den langhaarigen älteren Herrn in giftgrünem Sportdress am anderen Ende des Lokals veranlasste, ihn zu fragen, ob sein Hund hoffentlich nicht störe. Ich tippte sanft unter dem Tisch meine Freundin an, damit sie nur ja nichts verpasse während Alexander redete und redete. Das Hündchen war fast so groß wie ein Kalb, lag ausgebreitet vor den Barhockern und vertraute demütig darauf, dass niemand ihn treten würde. Und da war ja auch der todkrank aussehende Pressefotograf der immer wieder vom Barhocker herabkletterte um das Tierchen begeistert zu liebkosen.
Der Herr in Giftgrün tippte an sein Käppi und erklärte niemandem der es wissen wollte, dass dies ein Markenprodukt und Geschenk der Tochter sei: "Ah so!" Höfliches Lächeln in der Runde.
Nun war Alexander schon sehr abgefüllt, aber ich bestand darauf, mit ihm zum Jahreswechsel den Donauwalzer zu tanzen.
Das taten wir dann auch, während, bis auf zwei einsame Frauen, die verweigernden Gäste dezent wegblickten und jener Winzling dort drüben am Tisch mit dem Gepäck schon tief schlief..
Krönender Abschluss des Tanzes war ein Küsschen, worauf Alexander gelobte, morgen auch mit seiner Mutter tanzen zu wollen. Gleich darauf begann er, nun wieder gemütlich mit mir am Tisch sitzend, sehr ernst auf mich einzureden. Ich sei ein Mann und solle mich dem stellen! "Wie bitte, ich ein Mann? Das hat mir ja noch niemand gesagt!" "Doch, doch, öffne dich der Wahrheit, im Innersten bist du ein Mann!" "Ja, aber wieso denn?" "Ich fühle das, sei so ehrlich und stelle dich nun der Realität!"
Die Freundin kam nun von ihren elendslangen Telefonaten zurück und wurde ungehalten ob des nun stockbesoffenen Alexander. Zeit zu gehen! Alexander blieb noch, so einen Abend kann man doch nicht so abrupt beenden, oder?
(hier ist nichts erfunden, genau so war es an meinem Silvesterabend!)
@ Christina
was hat denn dein Kronleuchter für ne Birne drin??
vom 04.01.2009, 23.25