Ausgewählter Beitrag
Aus dem Unterricht
Heute saß ich einem sichtbar verzweifelten 7jährigen Mädchen gegenüber.
Der Vater hatte mich vorher aufgesucht und irgend etwas ganz bedrückt gestammelt. Ich interpretierte, dass seine Frau schwer erkrankt sei....aber klar war mir gar nichts.
Ich solle doch bitte nicht ungehalten sein, die Kleine habe wegen der Umstände in letzter Zeit kaum geübt. Ich erklärte ihm, dass mir immer wieder aufgefallen sei, wie starke Versagensängste das Kind habe und das, obwohl ich nur wenig Leistungsdruck machte. Ja, das Problem kenne er, antwortete der Vater.
Eigentlich war es mit diesem kleinen Mädchen meist anders als üblich. Bei ihr musste ich besänftigen und Überforderungsgefühle abbauen, was mir erstaunlich wenig gelang.
"Ach hör mal Mitzi, das musst du doch gar nicht sofort können.... lass dir Zeit, das machst du eh schon recht gut, du bist ja geschickt.... komm, machen wir uns einfach einen Spaß mit diesen Tönen, ich begleite dich"... Sie aber lehnte sich alle paar Minuten schlapp zurück und schaltete innerlich ab, obwohl ich das Tempo verlangsamte. Dabei gilt mein Unterricht allgemein als lustig, ich blödle viel, bin manchmal fast ein Clown. Aber sehr intensiv gearbeitet wird trotzdem, meistens kriechen sie fast aus dem Zimmer, die armen Opfer ;-)) Nein nicht wirklich, sie gehen beschwingt, ich schwöre! Und das ist mir wichtig.
Heute war es mir schwer, das besondere seelische Drama der Kleinen mit anzusehen. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ein kleines Kind mit beherrschter Mimik, sich nicht wirklich ablenken könnend und sichtbar sorgenvoll und trauernd. Plötzlich sagte sie von sich aus unvermutet, der Papa habe gesagt, sie solle nichts von der Familie erzählen, weil das nicht alle wissen sollten. "Ja" sagte ich ihr, "mach das am besten so". Ich hätte sie da am liebsten in die Arme genommen und liebevoll gedrückt. Aber ich blieb dezent, denn sie sollte kein anderes Verhalten bemerken als üblicherweise. Es wäre ihr jede besondere Zuwendung unangenehm gewesen, besonders neben der Freundin mit der sie den Unterricht zusammen erhält. Da war ihr kleines Stofftier hilfreich, es setzte sich auf den Notenständer und konnte ein wenig beim Musizieren behilflich sein. Die Freundin hat übrigens in dieser Stunde andere Sachen gelernt als man annehmen würde... durch Beobachtung.
Musik machen in so einer Situation... schrecklich. Aber was sollte ich anderes tun? Es wird von mir erwartet und nur dafür bin ich da, denken die Eltern und Omis. Aber sie irren.
Ich saß dann neben ihr und das Stofftier und ich lobten und erklärten viel.
Später dann sagte mir ein anderes Kind aus dem Freundeskreis, die Mutter wäre krank, aber anders krank, "nicht richtig" nannte sie das. Und der Bub daneben fragte überraschend: "Wegen der Scheidung?"
Ich wünsche dem kleinen Mädchen, dass ein Sonnenstrahl die Wolken ganz ganz weit wegzuschieben vermag.
Übrigens, ich bin nicht nur für Fertigkeiten auf der Gitarre da. Durch die Jahre - ich habe fast jeden Schüler bis zum 18. Lebensjahr oder länger im Einzelunterricht - kann ich recht viel Einfluss nehmen und manchmal sogar Dinge aus deren Leben ausgleichend ein klein wenig zurechtrücken. Meistens geht es um Blindheit den eigenen Stärken gegenüber und manchmal auch um Betriebsblindheit der Eltern, der ich entgegen zu wirken versuche.
Aber das ist eine andere Geschichte.
oh ja, da gebe ich dir recht, als musiklehrer lehrt man nicht nur noten und rhythmus ...
wenn ich so überlege, welche lehrer mich am meisten beeinflusst haben, die größten veränderungen bewirkten ... dann sind das mein trompetenlehrer und die querflötenlehrerin, ...
musizieren ist mehr als nur töne, denn musik kommt von innen ... und da müssen viele blockaden überwunden werden, bevor die luft frei nach außen dringt oder die finger über das instrument fahren und das innere nach außen tragen können ...
finde ich schön, wenn sich ein lehrer dieser verantwortung bewusst ist :-)
(viele meiner instrumentallehrer waren das nicht, und das waren dann die, die oft sehr viel zerstören konnten, wenn sie mit gewalt etwas erzwingen wollten, das von innen heraus (noch) nicht möglich war ... das spiel mag beim schüler technisch dann perfekt gewesen sein, aber das ist eben nicht alles, ...)
vom 10.04.2005, 13.21