Ausgewählter Beitrag

Gewürdigt schon, aber.......

Engelbert formuliert in seinem Blog am Ende eines Beitrags folgendes:

Wir Menschen, ich eingeschlossen, sind oft sehr visuell veranlagt. Angesprochen durch Farben und Licht. Großartige Dinge sind es, die bestaunt werden wollen. Man sieht den Künstler auf der Bühne, ohne an die Menschen zu denken, die drei Mal mehr Zeit aufwänden, diese Bühne zu bauen und all die Dinge tun, damit einer im Rampenlicht stehen kann.

Hier muss ich ausnahmsweise mal fest den Kopf schütteln und widersprechen. Außer er meint Künstler aus dem Popularbereich, dann stimmt es doch teilweise.  Aber niemals was die darstellende oder musikalische Kunst betrifft und der Begriff "Kunst" ist diesmal bewusst dem populären Interpreten provokant entgegen gestellt.

Der die Bühne aufbaut ist normalerweise ein beamteter Bühnenarbeiter. Er schiebt Kulissen, sitzt in der Kantine, baut um, sitzt in der Kantine und baut schließlich wieder ab. Bei Proben schaut er auf die Uhr und bleibt meist keine 3 Minuten länger als seine Arbeitszeit verlangt. Dann bekommt er 14 Monatslöhne, nicht sehr hoch, aber doch sicher.
Der Musiker oder Schauspieler bereitet seinen Auftritt monatelang vor.  So lange, dass man es gar nie angemessen bezahlen könnte, zumindest bei den nicht berühmten Künstlern ist es, umgesetzt auf das Jahresgehalt nicht immer mehr als der Bühnenarbeiter verdient. Das Gehalt ist auch nicht sicher und hängt davon ab, ob der Künstler fehlerlos (!) funktioniert. Zwei Versprecher in einer Aufführung oder zwei schräge Töne beim Musiker und schon wird man herunter gemacht. Für künstlerisch schwach gehalten oder es wird kolportiert, man sei fertig und baue ab, man verdiene es nicht, engagiert zu werden, habe wohl Protektion weil man trotzdem spielen dürfe und was weiß ich nicht alles. Das ist so gang und gäbe. Uns schon gibt´s kein neues Engagement mehr.
Ich bin vom Fach, war im Theaterorchester tätig (als Substitut) und habe bei halbszenischen Madrigalkomödien und einer zeitgenössischen Oper auch auf der Bühne mitgewirkt.
Stellt euch vor, einmal hatten wir eine musikalische Renaissancekomödie, die wir schon etwa 10x auf Deutsch aufgeführt hatten extra für nur einen Auftritt in italienisch auswendig gelernt. Es wurde zwar viel gesungen aber auch mit Zwischentexten und Szenen aufgelockert. Wir fuhren dann ca. 800 km nach Bergamo und mussten zu unserer Überraschung erleben, nur zwei Zuseher zu haben. Ein Liebespaar, sie saßen in der letzten Reihe Galerie, sonst war nur der Buschauffeur, der Regisseur samt seinem Kollegen und 3 Angehörige da die mitgefahren waren! In einem Schloß mit Theater so groß wie ein Kinosaal. Wir spielten ohne mit der Wimper zu zucken mit dem gleichen Elan wie sonst. Solch ein Risiko (auch finanzielles Desaster) gehört eben dazu.
Ein anderes Mal in Mestre vor Venedig: Nur ca. 12 Leute in den ersten beiden Reihen des durchschnittlich großen Theaters dort. Das war übrigens eine unvergesslich schöne Aufführung, sehr bereichernd für uns Darsteller, denn die anwesenden Italiener versuchten, den ihnen peinlichen mangelnden Besuch durch besonders frenetischen Zwischenapplaus und spürbares "Mitgehen" wett zu machen.
Was den Musiker im vergleich zu dem der die Bühne aufbaut betrifft, kann man sagen: Bühnenarbeiter 2 Stunden Dienst mit teilweiser Anwesenheit, Solomusiker im Schnitt etwa 90 Stunden Vorbereitungszeit pro 10 Minuten des Konzertes. Gage: Der MusikerSTUNDENlohn dürfte, wenn man die Gesamtarbeitszeit, also die Vorbereitung  mitrechnet so durchschnittlich um die 50 Cent liegen. 2 - 3 Stunden davon sind durch Lampenfieber derart stressig, dass viel mehr Musiker tablettensüchtig werden, als der Durchschnittskonsument ahnt.

Ein durch und durch idealistischer Beruf ist das, besonders was den Solisten betrifft, aber auch bei Kleingruppen kann man das auf jeden Fall sagen.

Wohlgemerkt, ich schrieb vom Durchschnittskünstler (ca. 90%) und nicht vom berühmten Star.



Probenfoto für "La veglie di Siena" von Orazio Vecchi (1550 - 1605 Modena)  mit Regisseur und Sängerin. (Etwa 1992)

Nickname 12.09.2005, 20.27

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Engelbert

Ich hatte ausnahmsweise wirklich die Stars vor Augen.

Wenn die darstellerische Leistung kein Höhenflug ist, bekommt die Kulisse vielleicht mehr Beifall ;).

Es kommt darauf an, mit welcher Qualität die Bühne aufgebaut wird und ob sie nur "aufgebaut" oder auch gestaltet wird.

Es gibt Lichttechniker und Bühnendesigner, deren Werk nicht weniger Kunst ist, als das, was in den Stunden des Auftritts auf der Bühne passiert.

Natürlich kassiert der Künstler genau wie das Lob auch Kritik ... wobei ich denke, dass es da einen sehr großen Unterschied zwischen klassischer Musik und Pop-Musik gibt. Was bei Ersterer ein Fauxpas ist, wird bei Letzterer meist gar nicht bemerkt.

Ich meinte übrigens mit meinem Blogeintrag nicht das geheuchelte Lob, nur weil etwas viel Arbeit ist, sondern einfach, dass das Wissen um die Quantität der Arbeit nicht verloren geht bei all den Aha-Effekten unserer Zeit.

lg, Engelbert :) )



vom 12.09.2005, 21.57
Antwort von Nickname:

 Lieber Engelbert, danke! Was du meintest habe ich inzwischen sehr gut verstanden. Genau das denke ich immer, wenn es um Sänger und Instrumentalbegleiter geht. Der Sänger wird gefeiert, der Begleiter, z.B. Pianist ist nur Steigbügelhalter. Hier ist sicher: Der Steigbügelhalter leistet unvergleichlich Aufwändigeres und muss sich in das Schicksal des Mauerblümchens abfinden.
Das ist mir als Instrumentalistin oft passiert. Einmal erwischte ich die 5 Sänger die ich begleitete dabei, dass sie sich selbst gleich ca. 150 Euro mehr an Gage genehmigten als mir. Ich aber hatte das ganze Werk harmonisiert (das heißt, Harmonien für Laute zu den reinen Chorstücken geschrieben, etwa 100 Partitureiten ... Dann solistische Stücke dazwischen gespielt und Vorspiele komponiert. Bei jedem Konzert die Laute mit ihren 24 Saiten gestimmt wärend sie im Gasthaus ihr vorbereitendes Gläschen Rotwein schluckten... Sie aber haben "nur" einfach gesungen. Für 1/3 Gage mehr. Ich sage dir, DA habe ich Krach geschlagen dass es nur so gedonnert hat. Schließlich waren wir gemeinsam eine fixe Gruppe. (5 Sänger und ich als Lautenistin mit Hier klicken ... naja, fast ein ganz normale Geschichte... wenn wir nicht befreundet gewesen wären.