Ausgewählter Beitrag

Versuch einer Deutung

KYRIE ELEISON

("Herr, erbarme dich")

aus Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem (KV 626)

Mozart komponierte dieses Werk in Form einer Doppelfuge. Man kann mit Recht behaupten, dass dies die am schwierigsten zu komponierende Form überhaupt ist. Stark vereinfacht gesagt müssen dabei fast ununterbrochen zwei Themen (Melodien) so gelegt werden, dass sie jederzeit hörbar sind und nie mit der Harmonie verschmelzen. (Kontrapunkt) Sie müssen über und untereinander zusammen passen und werden zeitlich versetzt gelegt als wenn sie voreinander fliehen wollten (fuga = Flucht)

Ich will nun zeigen welche zwei Themen Mozart gewählt hat und wie man sie deuten kann.

1. Thema: Text: Kyrie eleison

Kern dieser wuchtigen kurzen Melodie mit dem großen Tonschritt in der Mitte ist ein Molldreiklang* der oben und unten um einen Halbton erweitert wird. Diese zwei Töne überhöhen ihn klanglich dramatisch, es klingt, als wenn Gott ihn selbst umfassen wollte. (blaue Noten) Man könnte annehmen dieses Thema stelle den göttlichen Aspekt dar.

Hier noch einmal die Töne des ersten Themas zum besseren Verständnis:



*In der abendländischen Musik ist der Dreiklang das zentrale Grundelement jeder Komposition ab ca. 1600. Er ist wie ein Baustein der dem Gebäude Halt, Form, Spannung und Farbe verleiht, er ist auch wie das Leben selbst. In der Mitte so eines Dreiklangs liegt der Ton der ihm seinen Charakter verleiht, er steht für Dur oder Moll, zum Beispiel für Fröhlichkeit oder Melancholie. 

2. Thema



Die Unruhe und Wildheit des zweiten Themas erkennt man schon an seinem Aussehen. Es klingt wie das Rufen einer suchenden Menschheit. Die vielen Noten stellen die Vielfalt der Geschöpfe dar und vielleicht auch ihr Drängen nach Erlösung. (Siehe die letzten Töne) Auch sie umfassen übrigens den gleichen Tonumfang wie das Thema 1, das kann kein Zufall sein.

Nun verweben sich beide Themen, kreuzen sich als wenn sie sich umarmten und durchlaufen miteinander alle Tonarten! Gott und die Menschheit, untrennbar und niemals voneinander abgelöst auf allen nur denkbaren Ebenen!

Aber was ist am Ende? Wir wissen es nicht und daher endet Mozart das Kyrie mit einem Akkord ohne mittlerem Ton! (Terz) Musiker nennen das leere Quinte denn hier klingt weder Dur noch Moll, es bleibt alles offen.....

Die Auffassung, dass diese Themen Gott und das irdische Leben darstellen könnten stammt übrigens nicht von mir, ich hörte es in einem interessanten Vortrag vor vielen Jahren als Studentin der Musikhochschule. Die genauere Deutung des ersten Themas habe ich mir aber selbst zusammen gereimt.

Nickname 25.03.2006, 02.56

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Kommentare zu diesem Beitrag

4. von Julia

Hab lieben Dank für Deine Erklärungen und Deutungen. Ich habe kürzlich mit meinem Chor Teile des Messias von Händel gesungen und konnte von den Einführungen unseres Dirigenten zu den einzelnen Stücken nie genug bekommen. Einfach genusssteigernd!
Und bei der Gelegenheit möchte ich auch mal loswerden, dass ein Besuch bei Dir mittlerweile zu einer schönen täglichen Routine für mich wurde und ich mich hier sehr wohl fühle....Herzliche Grüße, Julia

vom 27.03.2006, 20.17
3. von Kehrtraud

Wenn ich Musik höre, mag ich mich ganz dem Klang und den Gefühlen,d ie sie auslöst, hingeben. Trotzdem liebe ich auch Erklärungen. Schönheit kann man eben auch oft rational erklären. Das ist doch faszinierend!
viele Grüße
Gertraud

vom 27.03.2006, 08.19
Antwort von Nickname:

Das Interessante an dem Thema ist, dass diejenigen die es "nur" aus dem Bauch heraus hören aber das mit Liebe, anscheinend den geistigen Hintergrund unbewusst doch wahrnehmen. Darauf bin ich durch Bach gekommen der ja kaum eine Note ohne Zahlensymbolik oder ohne harmonischen Bezug zu tieferen Bedeutungen schrieb.
LG. Tirilli
2. von Frau Waldspecht

Ohje, Fuge...
Ich erinnere mich an Toccata und Fuge...
Da hab ich mal eine Semesterarbeit drüber geschrieben....

Herr, erbarme mich, strafe mich morgen früh nicht mit Kopfschmerzen :-)).
Bussi und ein liebevolles Drüggerle von Anette

vom 25.03.2006, 21.45
1. von Sternenelfin

das ist ja sehr interessant :-))).So habe ich es noch nie gesehen, doch es klingt irgendwie einleuchtend und warum soll Mozart nicht auch diese Idee gehabt haben und es in diese Musik eingebracht haben ...
Ich kenne das Kyrie .. kann es auch singen, wie auch das gesamte Requiem. Ich liebe es .. auch wenn es eine Totenmesse ist. Es ist soooooooo wunderschön :-)). Vergleichbar mit dem Stabat Mater von Pergolesi - für mich zumindest :-))) ...

Wünsche dir ein wunderschönes Wochenende
Ganz liebe Grüße aus München von Annette :-)


vom 25.03.2006, 09.41