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Die zwei Seiten

Eines frühen Morgens im Studentenheim wachte ich auf und hatte das Gefühl, ich müsse jetzt sterben. Abends hatte ich mich noch gut gefühlt, aber jetzt war ich unheimlich elend, ich brauchte Hilfe. Um andere auf mich aufmerksam zu machen kroch ich zur Tür meines Einbettzimmers, schaffte es hinaus in den Gang und rief um Hilfe. Da hörte ich, wie sich mehrere Schlüssel umdrehten. Nein, die Türen gingen nicht auf... Umgekehrt in den Nachbarzimmern sprerrte man sich zur Sicherheit einfach ein! Es war noch sehr früh, kurz nach fünf glaube ich, aber doch schon hell. Irgendwie schaffte ich es zu den Toiletten hinüber um mich aus allen Öffnungen gleichzeitig zu entleeren. Dann wieder zurück, ich musste allein zurande kommen, außerdem war auch noch Sonntag und viele Heimbewohner waren heimgefahren. Den eben beschriebenen Weg musste ich immer wieder machen, dazwischen im Bett war ich zeitweise der Bewusstlosigkeit nahe.
Irgendwann kam dann der Kollege, mit dessen Gruppe ich beim Sonntagsgottesdienst mittelalterliche Musik hätte spielen sollen. Nachdem er gesehen hatte, wie es mir geht, rannte er auf die Straße und fragte Passanten, ob sie Arzt seien. Einer fand sich, Internist, er meinte: etwas Schlechtes gegessen. Mehr als eine Stunde später (!!) kam endlich der schon lange verständigte Notarzt. Der meinte: akute Gastritis, war unheimlich grantig, verbat sich Fragen und drückte mir irgend eine Spritze hinein. Am nächsten Tag 41° Fieber. Das zog bei der Notrufstelle, der nächste Arzt war binnen Minuten da. Der meinte wiederum: Virus. Was ich nun wirklich hatte, habe ich nie erfahren. Ich lag noch tagelang im Bett und musste erleben, dass ich meiner Clique, mit der ich mich täglich traf, überhaupt nicht abgegangen war. Da war auch ein engerer Freund dabei.... Die Enttäuschung hat damals unheimlich weh getan und ich ließ nie wieder jemanden von denen näher an mich heran.

Warum ich das alles gerade jetzt erzähle? In der Geschichte schrieb ich noch nicht über eine, die schon am ersten Tag helfend auftauchte. Und wie man bald merken wird, ist dies eine Art Fortsetzung zum gestrigen Thema über Lehrer.
Eine mir fremde Musikstudentin stand plötzlich da und verhielt sich großartig. Hielt mich beim Erbrechen, stützte mich beim Gehen, fühlte sich verantwortlich. Eine Samariterin! Ich vergesse das nie!
Und jetzt kommt´s! Genau sie war nur wenige Jahre später die Lehrerin, wegen der ein mir bekannter an sich braver Bub sogar die Schule wechselte! Sie hatte einen katastrophalen Ruf bei den Schülern.
Was war da passiert? Konkret weiß ich es nicht, ich hatte nach dem beschriebenen Geschehen wieder wenig Kontakt zu ihr. Grundsätzlich gibt es viele Möglichkeiten. Die Ursachen sind zu vielschichtig, es würde den Rahmen sprengen. Nur so viel: Sie hatte sich mit Sicherheit eine Strategie zurecht gezimmert, um den Beruf durchzustehen. DAS ist es immer wieder. DAS macht Lehrer so eigen. "Verdrottelt" schrieb jemand in einem Kommentar und ich übersetze das so: Eine Strategie ist in Fleisch und Blut übergegangen, wurde über die Jahre zur zweiten Haut die gar nicht mehr bewusst wahrgenommen wird, man hat sich etwas angepanzert.

Lehrer lernen immer noch viel zu wenig über Psychologie, speziell über Gruppendynamik und das Fach Pädagogik beschränkt sich überhaupt nur auf Lehrmethoden. Am dramatischsten wirkt sich aus, dass man erst merkt, ob man für den Beruf geeignet ist, wenn es schon zu spät ist.

Ich habe mir übrigens auch eine Strategie zugelegt. Oder besser nenne ich es ein Gesetz: Die Schüler seien mir als Persönlichkeit ebenbürtig, gleichwertig oder wie man das immer nennen will. Nur das, alles andere ergibt sich daraus von selbst. Und ich kenne viele viele Kollegen, bei denen das auch so ist.

Die Gesellschaft sieht beim Lehrer immer die vielen Ferien zuerst, das ist ungerecht. Der Beruf ist wirklich kein Honiglecken, es gibt viele Burnouts, das zeigen Statistiken.

Für mich aber ist er schön, ich liebe ihn! :-)

Nickname 24.10.2007, 00.31

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Kommentare zu diesem Beitrag

4. von Monika

...Dein Erlebnis im Studentenheim klingt schlimm... aber typisch in Situationen wo viele da sind ...und sich nicht so kennen... jeder denkt oder hofft daß ein anderer hilft oder daß ihm das selbe passieren könnte, wie dem nach Hilfe schreienden. :(

zu Lehrern: ich kenne schon seit vielen Jahren ( 27) einen "netten Jungen" na ja nun ist er erwachsen und er wollte Lehrer werden... Gumminasium Latein und Englisch und so, Musik / ein Instrument unterrichtet er schon, seit er ein Teenie ist .

Im Referendariat erzählte er mir, fand ein generelles Mobbinggegen die Neuen statt nach dem Motto: wenn er das überlebt , dann darf er weiter machen.

Nicht von den Schülern, nein. Von den "Kollegen".

Und er bestand dann auch nicht, aus doofen Gründen gegen seine Arbeit, die letzte Prüfung und mancht nun wieder das, was er vorher machte und während des Studiums (aus Regen nicht aus Zeitmangel) aufgeben mußte: Seine Musik spielen und lehren... Hat sich gelohnt das Studieren...?!?!:(

Und ich glaube, er wäre mit seiner Geduld, Humor und auf den Punkt kommen ein guter Lehrer (zu gut für die anderen??) geworden, er hat ja auch schon als Junge die Erfahrung gemacht wie man sich mit Leuten erfolgreich austauscht, die versuchen Kühe aufzublasen (oder sinds Schafe?? :D Er spielt seit seinem 14. Lebensjahr Quietschtüte... äh ..mmm... Quengelbeutel... wie heißt das ding noch...) Schade.

Und so kommts mir dann vor, das die schlechteren Lehrer (menschlich bestimmt ...bei sowas, fachlich/pädagogisch auch? vielleicht pädagogisch, wer sowas macht...) wohl sich so in diesem Fall die Plätze sichern... wut wut

Aber ein guter Mensch ist nicht automatich ein guter Lehrer... das weißt du ja schon selber.

Auch ein guter Fachmann ist noch lange kein guter Lehrer, das Weitergeben ist für die manchmal echt schwer, speziell wenn die anderen nur normal bis gar nicht interessierte Schüler sind und keine Super interessierten Spezialisten... :(

Das Lehren ist schon ein Talent für sich und man muß es lieben um gut zu sein glaub ich. So gibt es manchmal sogar Leute mit nur begrenzem Wissen die Leute begeistern können weil sie einem gut die Anfänge klar machen können!!



So nu lass ich weiteres und verbleib mit vielsten Grüßen!! Monika ;)

vom 24.10.2007, 19.18
Antwort von Nickname:

SCHLIMM!!! Aber das ist sicher ein Einzelfall. Oft hängt doch die Gesamtstimmung von einer einzigen Person ab. Die macht die Gruppe kaputt. Wenn dann diese Person auch noch Leithammel ist, gar der Administrator oder Direktor, ist für lange Schluss mit der Harmonie. Hätte er nicht wechseln können sattt aufzugeben? er hätte einen Leserbrief schreiben sollen, als es schon egal war ob man ihm was tun kann. Weil so viele Menschen sich das schweigend gefallen lassen, kommt das so weit!  Abner leicht gesagt, ich weiß ja..
Danke Monika!
Liebe Grüße!
3. von Renate

Da meine Schwester und auch meine liebste Schulfreundin Lehrerinnen sind, höre ich oft genug aus 1. Hand, wie anstrengend dieser Beruf ist.
Allerdings möchte weder meine Schwester noch meine Freundin mit mir tauschen, auch wenn sie schon oft über meinen 8-Stunden-Bürojob gelästert haben.

Ich denke, am wichtigsten ist es, sich bei der Tätigkeit wohlzufühlen, die man ausführt und den Job nicht als notwendiges Übel zum Geldverdienen ansieht.

Dass deine damalige Studienkollegin inzwischen so negativ gesehen wird, finde ich sehr traurig. Vielleicht hat sie gerade durch ihre Neigung, anderen immer helfen zu wollen, sehr viele Enttäuschungen einstecken müssen?

Einen dicken KNUDDLER schickt dir
Renate



vom 24.10.2007, 17.34
Antwort von Nickname:

Ich würde nie über einen Bürojob lästern. Schon, weil ihr so viel länger im Dienst sein müsst! Und bei anderen Jobs, erst recht nuicht. Wenn ich zum Beispiel an die an der Kassa sitzenden Frauen denke. Totaler Stress wenn viel los ist und das auch noch 40 Stunden lang. Ich kann mir nicht vorstellen, wie solche Frauen ihren Alltag managen. Wenn es dann auch noch Alleinerzieherinnen sind, ist es oft ein wahres Wunder, was sie schaffen. Ich bin eher weniger belastbar... echt nicht, das ist nicht Faulheit obwohl ich bis zu einem gewissen Grad schon auch faul bin.
2. von Bärenmami

Über die Pauschalierungen hab ich mich immer schon geärgert. Ich komme aus einer "Lehrerfamilie" und habe alle im engen Umfeld als Lehrer aus Berufung mit sehr viel persönlichem Einsatz kennengelernt. Leider gibt es eben auch viele andere, da ersetzt man dann Berufung durch Beruf. So zB wie bei einem Notarzt, der nicht genau hinschaut..leider gibt es in allen Bereichen immer mehr "Berufe" und kaum noch "Berufungen".
Allerdings ist es aufreibend, gegen Mauern von Lernunwilligkeit, Faulheit und Abwehr anzukämpfen. Und ich kann verstehen, wenn dann so mancher selber eine Mauer aufbaut und alles zu einem alltäglichen K(r)ampf wird.
Selbst bei meinen wenigen Schülern hab ich ja schon Barrieren zu überwinden!

zu der Kollegin: Wie gut, daß es in dieser schlimmen Situation Beistand für Dich gab, daß du nicht GANZ alleine sein mußtest. Ein guter Mensch ist halt nicht automatisch ein guter Lehrer. Vielleicht wäre sie eine gute Ärztin geworden?
Den vielen unbekannten Guten, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort das Richtige tun, ohne erstmal an den eigenen Nutzen zu denken sei hiermit mal gedankt. Dein Beitrag hat mich nachdenken lassen und auch ich habe solche Situationen erlebt und bin dankbar dafür.
liebe Grüße
Barbara


vom 24.10.2007, 10.17
Antwort von Nickname:

Danke Bärenmami.
Ja, sicher hat sie den falschen Beruf. Es gibt schon solche und solche. Ich kenne das Lehrerhafte das so unbeliebt ist auch, beobachte es ganz bewusst und muss aufpassen, dass ich selbst ja nicht auch plötzlich zu lehrerhaft doziere. Hab mich schon oft dabei erwischt! Halte mich dann ein und gelobe mich zu bessern. Der Berufsalltag verleitet ein bisschen.
1. von Eveline

Wieso schreibst du den letzten Satz so klein???

Am schnellsten erkennt man "Freunde" in der Not..... :(
Wie oft wohl geht so etwas noch tragischer aus, weil sich ganz einfach niemand kümmert bzw. kümmern will...
Ich bilde mir ein, dass die Hilfsbereitschaft immer weniger wird... :(

Man soll niemanden verurteilen, in dessen Schuhen man nicht ein paar Meter gegangen ist - bei all den Ferien, ich möchte den Job nicht machen, so gute Nerven hab ich nicht....
Pubertierende Teenies, die nicht wollen - noch schlimmer als das, was hier grad sitzt :D

Pausenbusserls*** ;)


vom 24.10.2007, 09.52
Antwort von Nickname:

1. Weil es nicht genug zum Thema gehört, dem eine Wendung gibt, die ich nicht wollte
2. Weil ich mich damit zu gut hinstelle. Ähm...